Digitalisierung bei der Bahn
t3n: Was wird dadurch erreicht?
Züge müssen den sogenannten Blockabstand einhalten. Das sind große Distanzen, weil die Bremswege von Zügen so lang sind. Dieser lässt sich deutlich verringern, wenn wir die „Hirne“ der Züge koppeln, und so der hintere Zug zum Beispiel automatisch mitbremst, wenn der vordere bremst. Durch diese KI-Technik können viel mehr Züge auf derselben Schiene verkehren. Und: Ich gewinne die notwendigen Infrastrukturkapazitäten – ohne einen Meter Gleis zu verlegen.
t3n: Ist aber nicht das eigentliche Problem, dass in Deutschland die Hochgeschwindigkeitszüge nicht wie im Ausland auf eigenen Trassen fahren, sondern sich mit dem Güterverkehr und langsameren Zügen das Gleis teilen müssen?
Wir haben das größte Schienennetz Europas, dreimal so lang wie alle deutschen Autobahnen. Und das System ist voll ausgelastet. Fakt ist, in Deutschland gibt es Mischverkehr. Geschlossene Systeme wie in Frankreich und Japan mögen ein Vorteil sein, weil die verschiedenen Verkehre nicht aufeinander Rücksicht nehmen müssen. Wir müssen deshalb andere, kreative Lösungswege suchen.
t3n: Was für Lösungswege sind das denn?
Wir drehen an allen Stellschrauben, um die Kapazität zu erhöhen: Neubau, Verdichten, Doppelstockzüge oder längere Züge zum Beispiel. Bislang gab es nur die Möglichkeit, Netze zu trennen oder eben nicht. Die Digitalisierung schafft hier einen neuen Weg: Ich kann das Netz virtuell unterteilen und die einzelnen Teilnetze für bestimmte Verkehre freigeben. Das kann ich sogar dynamisch tun, nach Uhrzeit, Wochentag oder Sondersituationen, und damit die Kapazitäten flexibilisieren. Ein bisschen so wie bei einer Server-Virtualisierung.

t3n: Könnte das Konzept der digitalen Zwillinge – eine virtuelle Parallelwelt, die etwa das Durchspielen von Fahrplanänderungen ermöglicht – die Lage entschärfen?
Das ist mein Traum: Wenn ich die ganze Deutsche Bahn mit all den Daten zu Beschaffung, Instandhaltung, und Auslastung in einer Art physikalisch korrektem Computerspiel hätte, dann könnte ich nicht nur in einer virtuellen Welt, sondern vielleicht in 200 verschiedenen Welten gleichzeitig Szenarien wie etwa neue Fahrpläne durchspielen. Für die Spezialisten unter den Lesern: eine Kombination von Reinforcement-Learning und genetischen Algorithmen. Der Großteil dieser Szenarien wird vermutlich einen unglaublichen Unsinn liefern, aber ich werde möglicherweise auch zu einem Fahrplan kommen, der mit dem heutigen nicht viel zu tun hat, aber viel besser läuft. Im Moment kann ich nicht experimentieren.
t3n: Wann denken Sie, wird eine virtuelle Testumgebung Realität?
Wir sind alle sehr beeindruckt davon, was KI plötzlich kann. Sie lesen von neuronalen Netzen, Supervised Learning, Reinforcement-Learning. Das ist aber alles Teil der ersten Stufe, der algorithmischen nämlich. Wenn wir 5G als zweite Stufe zünden, kann ich Daten in beliebiger Menge extrem schnell übertragen. Aber wer kann das dann noch verarbeiten? Wir haben heute keine Rechner, die in der Lage wären, das alles in Echtzeit zu kalkulieren. Ich werde zwar den Fahrplan für nächstes Jahr besser machen können, aber eine lokale Aussteuerung nach dem Muster „In Hamburg hakt es gerade: Was passiert, wenn wir den Güterzug 30 Minuten zur Seite stellen und was bedeutet das für die Kunden, die in Frankfurt einen Anschluss erreichen müssen?“, geht nicht. Das muss innerhalb von Sekunden geschehen. Das Ganze wird sehr stark davon abhängen, wie schnell Quanten-Computing kommt – womit wir bei der dritten Stufe der KI wären.
t3n: Sehen Sie in nächster Zeit den Durchbruch für Quantencomputer?
Das beschleunigt sich im Moment durch aktuelle Entwicklungen massiv. In der Vergangenheit hat niemand so richtig verstanden, welchen Mehrwert diese Hochleistungsrechner bringen könnten. Aber jetzt wird das breiten Gruppen, auch in der Industrie, langsam klar: Wir könnten zum Beispiel Klimamodelle ganz anders rechnen genauso wie Verkehrsströme. Wir müssen nicht lineare Effekte miteinbeziehen. Wir müssen mit einer Bevölkerung umgehen, die sich plötzlich wieder viel mehr im öffentlichen Verkehr und nicht nur in Privatautos bewegt. Oder bei einer Pandemie hätte ich ganz gerne gewusst, wann, wie und wo sie sich ausbreitet. Solche Simulationen – weltweit, mit komplexen Parametern und mit diesen schnellen Ergebnissen – sind dann möglich.
t3n: Apropos Datenverarbeitung. Die Deutsche Bahn besitzt nach Ihrer Aussage auch eines der besten Blockchain-Teams Deutschlands. Wozu?
Viele kennen Blockchain nur im Kontext von Bitcoin. Dabei ist Blockchain auch für die Beschaffung und Risikobewertung interessant. Eine lückenlose, automatische Prozessdokumentation vereinfacht es, etwa Lieferketten genau nachzuvollziehen. Aber auch für einfacheres und verkehrsträgerübergreifendes Ticketing kann man Blockchain-Technologie nutzen. Unser Blockchain-Team hat bereits dafür einen Prototypen entwickelt.
t3n: Um neue Technologien zu sondieren, unterhält die Bahn auch eine eigene Venture-Sparte und hat zuletzt in Flugtaxi-Infrastruktur und Lieferdrohnen investiert. Interessieren Sie sich auch für Hochgeschwindigkeitstunnelsysteme wie den Hyperloop?
Wir schauen uns alle Innovationen rund um das Thema Mobilität an. Wenn Elon Musk seinen Hyperloop weiter vorantreibt, muss er noch einige Probleme lösen, zum Beispiel Bautechniken oder Genehmigungsverfahren. Das könnte – jedenfalls im Grundsatz – auch für alle anderen Mobilitätsanbieter interessant sein, denn wir werden hier und da auch im Innenstadtbereich ein Gleis mehr brauchen, wo eigentlich kein Platz mehr ist.