
PIM als strategischer Erfolgsfaktor im Pharmaumfeld. Interview mit Lutz Seidel von medac
Interview mit Lutz Seidel (medac) über Herausforderungen, Chancen und den gezielten Einsatz von PIM in regulierten Märkten.
Wie wird ein Product Information Management (PIM)-System im pharmazeutischen Umfeld zum strategischen Erfolgsfaktor?
In einem streng regulierten Markt wie der pharmazeutischen Industrie kommt es auf absolute Datenqualität, Konsistenz und Transparenz an. Genau hier setzt ein leistungsfähiges PIM-System an – nicht nur als technologische Lösung, sondern als zentrale Grundlage für datenbasierte Entscheidungen, effiziente Kommunikation und regulatorische Sicherheit.
Im Vorfeld der PROKOM Data Days 2025 haben wir mit Lutz Seidel, Head of Master Data Management bei medac, über die strategische Bedeutung von PIM gesprochen. Er gewährt Einblicke in die besonderen Herausforderungen und Chancen eines PIM-Systems im pharmazeutischen Sektor – und erklärt, warum technische Fragen oft nicht das eigentliche Problem sind.
Über Lutz Seidel
Lutz Seidel studierte Chemie in Frankfurt am Main und promovierte in Heidelberg. Nach seinem Einstieg in die pharmazeutische Industrie 1997, war er unter anderem für die B. Braun Melsungen AG tätig, wo er die Zulassungsabteilung in der Schweiz leitete. Seit 2001 ist er bei medac in verschiedenen Führungspositionen tätig – aktuell als Leiter Master Data Management, zuvor u. a. in leitender Funktion in den Bereichen Regulatory Affairs und Regulatory Operations.
Über medac
medac Gesellschaft für klinische Spezialtherapeutika mbH ist ein international tätiges Pharmaunternehmen mit Sitz in Wedel bei Hamburg. Über 2.000 Mitarbeitende arbeiten weltweit an innovativen Lösungen in den Bereichen Rheumatologie, Urologie, Hämatologie und Onkologie. Der Fokus liegt auf der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Arzneimitteln und Diagnostika – immer mit dem Ziel, die Lebensqualität von Patient*innen nachhaltig zu verbessern.
Das Interview: Lutz Seidel über PIM, Datenqualität und regulatorische Anforderungen
Herr Seidel, wie sieht die optimale PIM-Strategie aus?
„Die PIM-Strategie muss zwingend auf die Unternehmensstrategie abgestimmt sein.“
Die optimale PIM-Strategie berücksichtigt mehrere Aspekte. Der wichtigste scheint mir die Anbindung der PIM-Strategie an die Unternehmensstrategie zu sein: Sind die Ziele des PIM-Programms auf die Gesamtfirmenstrategie und die zentralen Projekte ausgerichtet? Ist das nicht der Fall, verliert man schnell die Unterstützung des Managements und der beteiligten Business-Einheiten. Weiterhin ist es wichtig, den Reifegrad des PIM-Programms sowie den digitalen Reifegrad der Firma zu berücksichtigen: Ist das, was vom PIM-Team erwartet wird, mit dessen Umsetzungsfähigkeiten sowie den IT-technischen Anforderungen leistbar und umsetzbar? Und schließlich, als dritter Punkt, ist die Ressourcenfrage relevant: Stehen ausreichend personelle wie auch finanzielle Ressourcen zur Verfügung, um die definierten Ziele zu erreichen? Das Stakeholder-Management zur Beantragung und Bereitstellung dieser Ressourcen kann einen großen Arbeitsaufwand darstellen.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Vorteile eines Product Information Management (PIM)-Systems für Unternehmen?
Ein durchdachtes PIM-Projekt kann Treiber des digitalen Wandels und der Entwicklung einer Datenkultur sein. Hintergrund ist die Anbindung des PIM an eine Vielzahl von Business-Einheiten – entweder als Datenlieferant oder zur Datennutzung – sowie die Integration in verschiedene IT-Systeme innerhalb der Gesamt-IT-Landschaft eines Unternehmens. Das erfordert eine hohe Integrationsfähigkeit – auf Ebene der Datenobjekte, der IT-Systeme und der beteiligten Menschen.
Was sehen Sie als Ihre größte Herausforderung beim Thema PIM?
„Die Technik ist oft nicht das Problem – es sind die Organisation und Prozesse.“
Die größten Herausforderungen liegen weniger in technischen Systemfragen – hierfür gibt es bei den „Technikern“ oft gut nutzbare Lösungsansätze. Schwieriger sind organisatorische und prozessuale Fragestellungen, wie zum Beispiel die Abstimmung zwischen den einzubindenden Business-Einheiten, die möglicherweise unterschiedliche Interessen verfolgen. Hinzu kommt das Stakeholder-Management im Hinblick auf personelle und finanzielle Ressourcen, die entscheidend für den Verlauf und den Erfolg des PIM-Programms sein können. Außerdem ist die Unterstützung des Managements erforderlich, um Entscheidungen durchzusetzen – insbesondere dann, wenn das PIM eine große Reichweite im Unternehmen hat und viele Interessen berücksichtigt werden müssen. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Etablierung einer Data Governance, der sich alle Mitspieler und Business-Einheiten anschließen. Nur so lässt sich verhindern, dass immer wieder individuelle Probleme separat bearbeitet werden müssen.
Welche Kanäle nutzen Ihre Kunden typischerweise, um sich über Ihre Produkte zu informieren?
Unsere „Kunden“ sehen wir aktuell innerhalb der Firma: Wir nutzen eine Vielzahl an IT-Systemen und Repositorien, die häufig sehr prozess- bzw. funktionsspezifisch ausgerichtet sind. Vielen Kolleginnen und Kollegen reichen diese spezifischen Systeme aus, solange sie innerhalb ihrer Business-Einheiten und Prozesse arbeiten. Schwieriger wird es, wenn Informationen prozess- oder funktionsübergreifend benötigt werden – diese liegen oft in sogenannten „Informationsinseln“. Deshalb bauen wir unser MDM-/PIM-System aktuell weiter aus, um eine übergreifende Informationsverwaltung und -bereitstellung zu ermöglichen.
Welche Rolle spielt PIM bei der Verbesserung der Kundenerfahrung und wie können Unternehmen dies effektiv nutzen?
„Aktuell liegt der Fokus auf interner Datenintegration – künftig sind auch digitale Kundenangebote geplant.“
Unsere „Kunden“ sehen wir derzeit innerhalb der Firma, da wir zunächst interne Daten und Informationen integrieren und konsolidieren möchten. In einem nächsten Schritt planen wir, relevante Produktinformationen auf unserer Website in einem geschützten Bereich für medizinisch-pharmazeutisches Fachpersonal bereitzustellen. Dabei geht es um Inhalte wie Fach- und Gebrauchsinformationen, Produktabbildungen sowie Zubereitungs- und Anwendungsinformationen. Diese werden derzeit noch aufwendig manuell über viele Systeme und Kanäle hinweg verwaltet.
Wie passt sich medacs Produktkommunikation an die unterschiedlichen Bedürfnisse und Vorlieben der Kunden in verschiedenen Kanälen an?
Da wir als Hersteller, Zulassungsinhaber und Vertreiber von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln im regulierten Bereich tätig sind, erfolgt unsere Kundenkommunikation über geschützte und kontrollierte Kanäle für medizinisch-pharmazeutisches Fachpersonal. Eine klassische „Werbung“ ist in diesem Umfeld nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. In den kontrollierten Kanälen stellen wir jedoch Produktinformationen bereit – etwa zur sicheren Zubereitung und Anwendung, zu Dosierungsempfehlungen, Indikationen, Kontraindikationen sowie zu Neben- und Wechselwirkungen. Unser Ziel ist es, diese stark regulierten Informationen konsistent, korrekt und aktuell zu halten – auch über den gesamten Lifecycle hinweg – und Änderungen schnell an das Fachpersonal weiterzugeben. Hier spielen neue digitale Prozesse der Informationsverwaltung eine große Rolle, zum Beispiel die elektronische Gebrauchsinformation.
Welche Rolle spielt das PIM-System bei der Sicherstellung konsistenter Produktinformationen über alle Marketingkanäle hinweg?
Unser MDM-/PIM-System hat genau dieses Ziel: Informationen zur Entwicklung, Herstellung, Zubereitung, Anwendung und Kontrolle von Arzneimitteln konsistent und aktuell zu halten. Andernfalls könnten wir die regulatorische Compliance nur mit großem Aufwand sicherstellen. Dass wir dies gewährleisten, wird nicht nur von den regulierenden Behörden erwartet, sondern auch von Ärzten, Apothekern und Patient*innen – zu Recht.
Was kann Künstliche Intelligenz (KI) leisten, um das Produktdatenmanagement und Ihr Geschäft erfolgreich zu unterstützen?
„KI darf nicht ‚näherungsweise richtig‘ sein – sie muss absolut korrekt und nachvollziehbar sein.“
Im regulierten Arzneimittelbereich ist die Korrektheit von Aussagen entscheidend. Kein Patient, kein Arzt oder Apotheker und keine Aufsichtsbehörde würde sich mit „näherungsweise richtigen“ Daten oder Informationen zufriedengeben. Deshalb werden IT-Systeme, die in der Arzneimittelentwicklung und -herstellung eingesetzt werden, nach strengen Regeln dokumentiert und validiert, um die Datenintegrität sicherzustellen. KI wird in diesem Umfeld als Hochrisiko-Anwendung eingestuft. Sie muss laut EU AI Act technisch umfassend dokumentiert und transparent sein. Die Trainingsdaten müssen von hoher Qualität sein und die Ergebnisse robust, genau und nachvollziehbar. Ergänzend ist ein Risikomanagement erforderlich. Daher ist der Einsatz von KI derzeit eher in unterstützenden Aufgaben sinnvoll, bei denen der Mensch die finale Entscheidung trifft.
Vielen Dank, Herr Seidel!
Wir danken Lutz Seidel herzlich für die offenen Einblicke in die PIM-Praxis bei medac und die spannenden Einschätzungen zu den Herausforderungen und Chancen im Umgang mit Produktdaten im regulierten pharmazeutischen Umfeld. Sein Erfahrungswissen zeigt eindrucksvoll, wie wichtig eine strategisch ausgerichtete Daten- und Informationsarchitektur heute ist – gerade dort, wo regulatorische Anforderungen, unternehmensweite Prozesse und digitale Transformation zusammenkommen.
Wir freuen uns darauf, ihn live bei den PROKOM Data Days 2025 auf der Bühne zu erleben!
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Lutz Seidel ist Speaker auf den PROKOM Data Days, dem führenden Fachkongress für PIM, Produkt- und Omnichannel-Kommunikation sowie Customer Experience Management. Sichern Sie sich jetzt Ihr Ticket und erfahren Sie, wie Sie Ihre Datenstrategie auf das nächste Level bringen.