Kultur

So geht inklusive Kunstvermittlung

Vorreiter wie das MoMA, das Manchester Museum, capito Mecklenburg-Vorpommern oder das KHM und das Konzerthaus in Österreich zeigen, wie Kunst und Kultur für alle Menschen zugänglich wird.

Bis in die 1940er-Jahre reicht das Kunstangebot des Museum of Modern Art, dem MoMA in New York, für Menschen mit Behinderungen zurück. Damals wurde das War Veterans‘ Art Center geschaffen, das Kriegsversehrten kostenlose Kunstkurse anbot, berichtet Francesca Rosenberg – Director, Access Programs and Initiatives: „Dieses Erbe führt das MoMA fort, indem es jedes Jahr Tausenden von Menschen mit Behinderungen im Rahmen direkter Angebote Zugang zur Kunst verschafft.“

 

Ein MoMa für alle

Barrierefreiheit und Gleichbehandlung haben im MoMA einen derart hohen Stellenwert, dass sogar eine Task Force für Barrierefreiheit eingerichtet wurde, der Vertreter:innen aus allen Abteilungen und Bereichen des Hauses angehören. Rosenberg: „Kunst so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen, kann eine wunderbare Chance sein, über Ausstellungsdesign und die Art und Weise, wie Besucher:innen Kunst erleben, nachzudenken.“

Ältere Besucher vor einem Gemälde von Claude Monet im Museum of Modern Art, New York. © MoMA/Jason Brownrigg

 

2018 wurde das MoMA mit einem Zero Project Award ausgezeichnet. Zudem nahm das MoMA am ersten Zero Project Impact Transfer Programm teil, dessen Ziel es ist, als „Accelerator“ innovative und skalierbare Lösungen für eine barrierefreie Welt zu unterstützen.

 

Kunst zum Angreife

Bereits 2014 war das Manchester Museum einer der Zero Project Awardees, das für das interaktive Forschungsprojekt „Haptic Probos“ ausgezeichnet worden war. Initiiert hatte es Sam Beath, heute Conservation and Collection Care Manager des Museums der University of Manchester, 2008. Beath: „Die Entwicklung hat aber bereits in den 1990er-Jahren begonnen, als wir am National Liverpool Museum an innovativen 3D-Scan- und haptischen Technologien geforscht haben.“

 

Blinde ertasten eine 3D-Replik im Manchester Museum © Manchester Museum

 

Zunächst standen dabei konservatorische Anwendungen im Fokus. „Bald wurde uns aber klar, dass man damit Besucher:innen von Museen einen physischen Zugang zu originalgetreuen Nachbildungen von Objekten ermöglichen kann und, dass das auch zu innovativen Ansätzen der Inklusion führen kann“, erinnert sich Beath. Bis 2017 wurden vier Objekte in die Bibliothek von Probos aufgenommen, darunter auch Gustav Klimts „Der Kuss“ – ein Projekt, das im Rahmen eines Erasmus+-Projekts und unter Mitwirkung österreichischer, deutscher und slowakischer Partner realisiert wurde.

 

Inklusive Kunstvermittlung

capito Mecklenburg-Vorpommern (capito MV), ein Spezialist für barrierefreie Kommunikation, bildet gemeinsam mit dem Staatlichen Museum in Schwerin Menschen mit Behinderungen zu Kunstvermittlern in Museen aus und wurde dafür 2020 mit einem Zero Project Award ausgezeichnet. Bis 2022 konnten acht Personen im Staatlichen Museum Schwerin und im Schlossmuseum in Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern qualifiziert werden.

 

Inklusive Kunstvermittlerin im Museum Schwerin © capito Mecklenburg Vorpommern

 

Aktuell ist zudem eine hauptberufliche Qualifizierung in Entwicklung, berichtet Nils Wöbke, Leiter von capito MV: „Das Projekt zeigt seine gesellschaftliche und individuelle Wirkung auf vielfältige Weise. Menschen mit Behinderungen sind an einem öffentlichen Museumsort tätig und gehen einer qualifizierten, öffentlichen und sichtbaren Aufgabe nach. Menschen mit Behinderungen erhalten durch dieses Projekt neue Zugänge zu Bildung, Ehrenamt und Arbeitswelt.“ Interessierte Museen können das Wissen und die Erfahrungen aus dem Projekt im Wege von Workshops oder Lehrgängen nutzen. Im Rahmen des Zero Project Impact Transfer Programmes 2020 wurde zudem der Prototyp für ein inklusives Qualifizierungshandbuch entwickelt.

 

Pionierarbeit aus Österreich

In Österreich zählt das Kunsthistorische Museum (KHM) zu den Pionieren inklusiver Kunstvermittlung, weiß Rotraut Krall, Abteilungsleiterin Kunstvermittlung im KHM-Museumsverband zu berichten: „Bereits 1952 hatte der damalige Direktor der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung blinde Menschen eingeladen, Objekte mit Handschuhen zu betasten.“ 2010 wurde dieser Faden, so Krall, mit ihrer Bestellung wieder aufgegriffen: „Man hatte erkannt, dass inklusive Kunstvermittlung eine große Wichtigkeit bekommt und dafür eine eigene Stelle geschaffen.“ Eines ihrer ersten Projekte war die Erstellung taktiler Reliefs von Werken aus der Gemäldegalerie – eine Idee, die sie gemeinsam mit der Wiener VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung Forschungs-GmbH entwickelte.

 

Menschen mit Behinderung in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums © KHM Museumsverband

 

Weitere Ideen und Projekte wie das inklusive Museumsbuch „Gemeinsam anders sehen!“ folgten, bis das KHM 2016 zur Teilnahme an ARCHES („Accessible Resources for Cultural Heritage EcoSystems“) eingeladen wurde. Das von der EU im Rahmen von HORIZON 2020 geförderte Projekt brachte zwölf europäische Partner aus den Bereichen Kultur – darunter sechs der führenden Museen –, Technologie und Wissenschaft sowie Menschen mit Behinderungen zusammen, um „gemeinsam Innovationen zu identifizieren und zu entwickeln, die den Besuch von Kulturinstitutionen für Menschen mit Behinderung erleichtern“, so Krall. Neben der Umsetzung weiterer Reliefs sowie taktiler Museumspläne wurde eine App entwickelt, die das Navigieren und Lernen über die Exponate in den Museen unterstützt. 2020 wurden ARCHES und das KHM mit einem Zero Project Award ausgezeichnet.

 

Wo Musik alle verbindet

Das Wiener Konzerthaus wird 2023 mit einem Zero Project Award für die inklusive „SommerMusikWoche“ ausgezeichnet, die seit 2019 besteht. Entsprechend dem Motto „Musik verbindet“ richtet sich das kostenfreie Angebot an alle Menschen und hat zum Ziel, „einen lebendigen und authentischen Dialog zwischen Bühne und Publikum zu ermöglichen und zwar unabhängig von sozialer Herkunft und Bildung, ethnischer Zugehörigkeit oder Behinderung“, erklärt Mira Possert, Education- Managerin am Wiener Konzerthaus. Nicht einmal ein Instrument wird benötigt um teilzunehmen, entscheidend ist nur die Begeisterung für die Musik.

Die Teilnehmer:innen können zwischen inhaltlich verschiedenen Workshopgruppen wählen. Den Auftakt der ersten vier Tage macht jedoch eine gemeinsame Einheit und auch das Mittagessen in der Gruppe soll die Interaktion fördern und ein kreatives Miteinander schaffen. Am fünften Tag wird für das abendliche Abschlusskonzert geprobt und es werden die Ensembles gebildet. Possert: „Dabei zeigt sich, dass die vermeintliche Inhomogenität der Gruppe einer ihrer größten Stärken ist.“

 

von Friedrich Ruhm Perdomo

 

Quelle: museumsguide.net