Kultur

Interview mit Dr. Joachim Huber

Dass Kulturgut langfristig erhalten bleiben soll ist breiter Konsens. Doch die immer grösser werdenden Sammlungsbestände und Ansprüche bedeuten steigenden Aufwand und verlangen nach neuen Lösungen, welche für unsere Gesellschaft und ihre Akteure langfristig tragbar und nachhaltig sein sollen.     

 

 

 

Dr. Phil. Joachim Huber ist Museumsplaner/Kunsthistoriker, Mitbegründer (1997) und Co-Geschäftsführer der Firma Prevart GmbH – Konzepte für die Kulturgütererhaltung. Er setzt sich mit strategischen Fragen der Kulturgütererhaltung und der Sammlungspolitik auseinander. Beratung von Museen und Behörden im deutschsprachigen Raum für die Initiierung, Planung und Umsetzung von Depotflächen für die unterschiedlichsten Arten von Sammlungen im Umfang von mehr als 15 Fussballfeldern sind sein tagtägliches Geschäft.

 

Auf der Veranstaltungsreihe Das grüne Museum ist er in Berlin, Köln und München mit seinem Vortrag „Wieviel Kulturgut tut einer Kultur gut“ vor Ort. Passend zum Thema und der Aktualität führte die DEUTSCHE KONGRESS (DK) ein Interview mit dem Museumsplaner und Kunsthistoriker (JH).

 

DK: Was genau steckt hinter Ihrem Vortragstitel „Wieviel Kulturgut tut einer Kultur gut“?

JH: In der „westlichen Zivilisation“ ist der Fokus in vielen Fällen auf der materiellen Erhaltung von Kulturgut. Es wird archiviert, gesammelt und zuweilen auch gehortet. Dabei werden die Bestände zunehmend grösser (fast nie kleiner), wodurch auch der Aufwand, diese Bestände zu bewahren immer grösser wird. Bei anhaltendem Wachstum von z.B. 4% pro Jahr verdoppeln sich so die Sammlungsvolumina alle 20-25 Jahre. Irgendwann stösst jede sammelnde Institution damit physisch wie auch finanziell an ihre Grenzen. Wieviel Kulturgut heben wir auf?, Was heben wir auf? Was ist die öffentliche Hand bereit dafür auf sich zu nehmen und letztlich auch zu bezahlen. Masse heisst nicht Qualität. Letztlich soll der Titel auch etwas provozieren und zum Nachdenken anregen.

DK: In wie fern ist das mit den Depot-Bauvorhaben und –Plänen verbunden bzw. was denken Sie, was für eine Herausforderung dahinter steckt?

JH: Die aus allen Nähten platzenden Institutionen versuchen in den letzten Jahren vermehrt ihre räumliche Misere durch einen Befreiungsschlag zu lösen indem sie neue Depots erreichten. Zuweilen steigen die Mietpreise der belegten Flächen in Innenstadtbereichen auch schlicht in nicht mehr tragbar Höhen und die Depots müssen in günstigere Zonen verlegt werden. Ein weiterer Punkt ist die zu beobachtende Rückbesinnung auf die eigene Sammlung, welche wieder zunehmend im Fokus der Museumsarbeit steht. Da sind heute auch Politiker zur Einsicht gelangt, dass ein Museum nicht nur aus seinen Ausstellungen besteht und seine Qualität sich nicht nur an der Besucherzahl misst.

DK: Wie steht es um die Nachhaltigkeit?

JH: Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hochgeschraubten Anforderungen an die Aufbewahrungsbedingungen sind alles andere als nachhaltig und z.T. mit hohem Energieverbrauch und entsprechenden Kosten verbunden. Im Zuge einer Gesamtschau der Depotproblematik zeigt sich immer mehr, dass nebst dem Aufbewahrungsklima auch viele weitere Risikofaktoren wie technische Havarie, Handling, Transport, Ausstellung, Naturkatastrophen, Klimawandel etc. zu berücksichtigen sind und das Klima nur ein Teil des Gesamtrisikos ist. Unter diesem Aspekt ist die Verwendung der für die Kulturgütererhaltung verfügbaren Mittel neu zu überdenken. Die Gesellschaft legt fest, was ihr die Erhaltung von Kulturgut wert ist und welche Mittel sie aufwenden will (tendenziell eher wieder weniger). Mit diesen Mitteln muss man auskommen bzw. diese müssen best möglich eingesetzt werden. Der Löwenanteil darf dabei nicht nur für die kulturellen Leuchttürme eingesetzt werden.

Es ist wahrscheinlich sinnvoller in einfache, möglichst passive Systeme zu investieren, als mit hohem technischem Aufwand (Energie) eine mangelhafte Aufbewahrungssituation zu korrigieren (Klimatisierung). In diesem Zusammenhang muss eine gewisse Entspannung in der heiss umstrittenen Klimafrage bzgl. Kulturgutaufbewahrung angestrebt werden. Die Frage kann nicht lauten wie kann man das Maximum technisch erzielen – koste es was es wolle -, sondern die Frage muss lauten, welche Massnahmen lassen sich mit den verfügbaren Mitteln umsetzen, so dass in 100 Jahren (also in 4 Generationen!) noch am meisten relevante Substanz vorhanden ist. Wir bezeichnen dies als das „Horizont 100 – Prinzip“.

DK: Was denken Sie, wie das wohl in Zukunft aussehen wird?

JH: Einfache, robuste Systeme, welche mit wenig oder keiner Fremdenergie auskommen, jedoch gute Aufbewahrungsbedingungen für Kulturgut bieten. Einer der schwierigsten Aspekte in unseren Breitengraden wird dabei der Klimawandel sein, der uns vor ganz neue Probleme stellt

DK: Können Sie uns weitere Konzepte für die Kulturgütererhaltung nennen? Welche würden Sie bevorzugen?

JH: Wenn man sich vertieft mit dem oben erwähnten „Horizont 100 – Prinzip“ auseinandersetzt muss man sich auch mit der Menge an Kulturgut auseinandersetzen, die heute in Museen und Archiven liegt. In Anbetracht dessen ist auch zu hinterfragen, wie man dies alles langfristig erhalten kann. Gegebenenfalls ist eine Reduktion der Sammlungsbestände nachhaltiger, weil dann die Mittel zur angemessenen Pflege des verbleibenden Bestandes eingesetzt werden kann, wogegen der Gesamtbestand unter Umständen in 100 Jahren zu einem geringeren %-Satz überliefert wäre, wenn er nach dem Giesskannenprinzip nur mangelhaft gepflegt werden könnte und im Extremfall als Gesamtes verloren ginge (statt dass ein angemessen gepflegter kleiner Teil überdauert). In Fragen der Kulturguterhaltung sind wir heute eher kurzfristig orientiert und entscheidungsschwach in der Angst einen Fehler zu begehen. Vielleicht ist jedoch gerade dies der grösste Fehler unserer Generation, da wir nicht bereit sind, uns zu fokussieren und Entscheidungen zu Gunsten einer Gesamtsicht zu fällen. Die langfristige Erhaltung von Kulturgut und die Nostalgie nach „guten alten Zeiten“ passen ebenso nicht zusammen. Sicher ist jedoch, dass Kulturgut – seien dies nun Gebäude, mobiles Kulturgut und auch immaterielles Kulturgut – ein wichtiger Teil unserer Identität ist, auch wenn wir sie nicht täglich bewusst wahrnehmen. Der Titel der Präsentation könnte daher ebensogut „Keep the Balance“ heissen. Die Devise heisst nicht Maximum oder Minimum, sondern tragbares, ausgewogenes Optimum.

DK: Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Huber.