Finanzwesen

In diesen Branchen ist die Furcht vor der Pleite am größten

Einzelhandel: Corona bringt das Aus für schwache Händler

Das Szenario, das Stefan Genth entwirft, klingt bedrohlich. Jeder dritte Nicht-Lebensmittel-Händler sei von der Insolvenz bedroht, warnt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland. Rund 10.000 Unternehmen in der Branche ständen wegen der Folgen der Pandemie auf der Kippe, bis zu 50.000 Geschäfte könnten langfristig geschlossen werden, schätzt der Verband. „Wir erleben einen historischen Einbruch„, klagt Genth. „Viele Unternehmen sind in Existenznot.“

Dass diese Zahlen realistisch sind, zeigten in den vergangenen Monaten zahlreiche Insolvenzen auch namhafter Handelsunternehmen vor allem aus dem Modebereich. So beantragte beispielsweise die Tom-Tailor-Holding im Juni Insolvenz, der chinesische Großaktionär Fosun will das Unternehmen nun komplett übernehmen, um es zu retten. Esprit hat das Schutzschirmverfahren beantragt und will jeden zweiten der 100 Läden in Deutschland schließen. Viele weitere bekannte Händler wie etwa Appelrath-Cüpper oder Gina Tricot haben in Deutschland Insolvenz angemeldet, Hallhuber ist im Schutzschirmverfahren.

Besonders bitter war es für den seit Jahren angeschlagenen Konzern Gerry Weber. Erst im Januar kam er aus der Insolvenz zurück und sah wieder eine Perspektive, da trafen den noch geschwächten Händler die Folgen der Pandemie. Nach einem Umsatzausfall von deutlich mehr als 100 Millionen Euro sollen nun die Gläubiger erneut ihre Forderungen stunden, Hunderte Mitarbeiter müssen wohl gehen.

Die Welle trifft auch die Shoppingcenter. In den Malls des Betreibers ECE haben bereits 400 Händler Insolvenz angemeldet, das betrifft acht Prozent der Gesamtfläche. ECE verzeichnet pro Monat rund 70 Millionen Euro Einnahmeausfall. ECE-Eigentümer Alexander Otto geht davon aus, dass sich die Zahl der Insolvenzen noch weiter erhöht. „Da wird im Sommer noch einiges kommen“, sagte er im Interview mit dem „Manager Magazin“.

Bei den meisten Insolvenzen zeigt sich ein ähnliches Muster: Die Pandemie ist nur der letzte Auslöser, in Schwierigkeiten waren die Unternehmen schon länger. „Covid-19 hat als enormer Brandbeschleuniger für Entwicklungen gewirkt, die sich in ihrer Tendenz schon vor der Krise abgezeichnet haben“, bestätigt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Handelsforschungsinstituts IFH in Köln. Er nennt sinkende Kundenfrequenzen im stationären Handel, mehr Onlinekäufe und ein steigendes Anspruchsniveau auf der Konsumentenseite als Belastungsfaktoren.

Menschenleere Einkaufspassage in Köln (Foto: Revierfoto/ddp) / handelsblatt

Die Folge: Margendruck, Konzentrationsprozesse, Unternehmens- und Filialschließungen. „Das stellt die Branche vor enorme Herausforderungen“, so Hudetz. „Auch wenn die Frequenzen an vielen Standorten langsam, aber stetig steigen, bedeutet dies noch keine Entwarnung“, warnt der Handelsexperte. Die Kunden suchten gezielt nach einzelnen Produkten, Inspiration und dadurch ausgelöste Zusatzkäufe fänden – nicht zuletzt auch wegen der Hygienemaßnahmen – kaum statt. Das drückt auf die Umsätze.

Beispielhaft für die Entwicklung steht der Warenhausbetreiber Galeria Karstadt Kaufhof. Die Kunden blieben weg, das Onlinegeschäft wurde viel zu spät angegangen. Die Fusion sollte die beiden traditionsreichen Ketten retten, die jahrelang Verluste angehäuft hatten. Doch die ohnehin schon heikle Mission wurde durch die Coronakrise unmöglich. Das Unternehmen flüchtete sich ins Schutzschirmverfahren, mehr als 50 Filialen werden geschlossen, der Ausgang ist ungewiss.

„Wir müssen leider davon ausgehen, dass eine Insolvenzwelle im Herbst zu erwarten ist“, warnt HDE-Geschäftsführer Genth. Er fordert deshalb, die Hürden für staatliche Überbrückungshilfen nicht zu hoch zu setzen. Bei den geringen Margen, die im Handel häufig erzielt werden, könne schon ein Umsatzausfall von 30 Prozent bedrohliche wirtschaftliche Folgen haben.

Florian Kolf