Kultur

„Im 21. Jahrhundert wird Holz der neue Beton“

Matteo Thun baut seit Jahrzehnten möglichst CO2-arm Häuser aus Holz. Ein Gespräch über Bauvorschriften und darüber, warum er Balkone für unnötig hält.

 

 

München Wer baut, kommt an Vorschriften zur Energieeffizienz nicht vorbei. Schließlich sind Immobilien für etwa 40 Prozent des bundesweit ausgestoßenen Kohlenstoffdioxids (CO2) verantwortlich. Damit Deutschland bis 2050 klimaneutral wird, muss einiges geschehen. Der Architekt und Gestalter Matteo Thun hat schon CO2-arm gebaut, da waren Energieausweise noch nicht im Gespräch.

Von den rechtlichen Vorgaben hält der 71-Jährige wenig. „Ich habe den Eindruck, Deutschland, aber auch viele andere Länder befinden sich in der Hand einer Dämm-Mafia“, sagt der Südtiroler im Gespräch mit dem Handelsblatt in München beim Projekt „Der Bogen“. Da natürliche Dämmstoffe oft zu teuer seien, würden Stoffe genutzt, die gesundheitsschädlich seien und auch in der Herstellung viel CO2 produzierten.

Im Interview plädiert Matteo Thun – der seit den 1980ern Projekte in den Alpen, Mailand oder in Bad Aibling realisiert hat – dafür, stattdessen auf Materialien wie Holz zu setzen. Zudem erklärt der Architekt, warum er wenig von Balkonen hält und wie Städte in 30 Jahren aussehen werden.

 

Lesen Sie hier das ganze Interview mit Matteo Thun:

Herr Thun, wie würden Sie den Wohnungsmangel in Deutschland bekämpfen, wenn Sie Bundesbauminister wären?
Ich denke, die Frage erübrigt sich. Ich will mich politisch nicht äußern und auch kein Amt bekleiden.

Hätten Sie zumindest einen Tipp für Bundesbauministerin Klara Geywitz?
Eher eine Bitte: Trennen Sie sich oder besser erlösen Sie uns von diesen vielen unnötigen Normen.

Nun sind viele Normen unter Bauträgern und Architekten umstritten, einige Regeln allerdings dienen dem Ziel, in wenigen Jahrzehnten klimaneutral zu werden. Sollen diese Vorgaben auch weg?
Diese sollten zuerst verschwinden. Ich habe den Eindruck, Deutschland, aber auch viele andere Länder befinden sich in der Hand einer Dämm-Mafia.

Das müssen Sie mir erklären.
Wir dichten unsere Neubauten hermetisch ab. Da natürliche Dämmstoffe oft etwas teurer sind, werden Kunststoffe wie Polystyrol und Co. verwendet. Einige dieser Stoffe stehen im Verdacht, Krebs zu erregen, und auch wenn sie das nicht tun, haben Sie sehr wahrscheinlich ein Schimmelproblem. Ganz zu schweigen davon, wie viel CO2 freigesetzt werden muss, um diese Materialien zu produzieren.

Irgendwie müssen wir unsere Gebäude doch klimafreundlich machen.
Es geht auch anders, aber bevor wir dazu kommen, habe ich zunächst einmal eine Frage an Sie: Wissen Sie, wie viele Architekten bei der jüngsten Architektur-Biennale in Venedig aus Afrika kamen?

Ich weiß es nicht, ich kann mir aber vorstellen, dass es nicht viele waren.
Damit liegen Sie leider falsch. Es waren rund 60 Prozent. Wir können noch viel von diesen Leuten lernen.

Was ist das Besondere an Architektur aus Afrika?
Wir bauen inzwischen viel zu technisiert. Dort baut man, auch weil man sich die teuren künstlichen Materialien nicht leisten kann, mit dem, was man vor Ort hat und gibt den Bewohnern Luft zum Atmen. Auch die Häuser, die vor 100 Jahren hier gebaut wurden, hatten und haben heute noch ein viel besseres Raumklima.

Verzeihen Sie mein klischeehaftes Denken, aber bei mir kommt hier das Bild einfacher Lehmhütten in den Sinn.
Die hat aber keiner meiner Kollegen aus Afrika auf der Biennale vorgestellt. Lösen Sie sich einmal gedanklich von der Hütte, behalten Sie aber die Baumaterialien.

Was heißt das übertragen auf Deutschland?
Wir sollten mit dem bauen, was hier vor Ort ist. Modulare Holzbauweise ist das Zauberwort.

Sie haben bereits in Bad Aibling das Wooden Village nach diesem Prinzip gebaut. Stimmt es, dass die Kosten vor rund zehn Jahren bei gut 1000 Euro pro Quadratmeter lagen?
Ja, aber heute wären wir bei etwa 1700 Euro pro Quadratmeter.

Das entspricht etwa zwei Dritteln oder, je nach Bauweise, der Hälfte der Kosten, die ein Wohngebäude momentan durchschnittlich im Bau kostet. Da müssten Ihnen doch große Projektentwickler oder Bestandshalter, die bauen wollen, die Bude einrennen.
Das geschieht aber nicht. Große Wohnungsbaugesellschaften zum Beispiel haben sich noch nicht bei uns gemeldet.

Weil zum Beispiel Vonovia eher auf Betonmodule aus dem 3D-Drucker setzt?
Vielleicht. Aber ich bin da generell skeptisch: Zum einen steckt die Drucktechnik noch in den Kinderschuhen, zum anderen ist das Zeitalter des Betons vorüber. Im 21. Jahrhundert wird Holz der neue Beton.

 

 

Quelle: © Handelsblatt