
„Wenn wir die Rahmenbedingungen nicht radikal ändern, gehen wir in die Knie“
Dauerkrise voraus: Die deutsche Wirtschaft wird sich auch nach der Wahl nicht rasch erholen, es droht ein neuer Insolvenzrekord. Das sind die Gründe.
Die Zahlen fielen ernüchternd aus – mal wieder. Für Januar 2025 verzeichnete das Statistische Bundesamt 14,1 Prozent mehr Unternehmensinsolvenzen als im Vorjahreszeitraum. Seit Juni 2023 lagen die Zuwachsraten damit fast Monat für Monat im zweistelligen Bereich. Dass sich an der Entwicklung nach der Bundestagswahl schnell etwas ändert, bezweifeln Experten. Die derzeitige Rezession sei eben „ein anderes Kaliber als frühere Wirtschaftsflauten“, sagt der erfahrene Insolvenzverwalter Christopher Seagon.
So konnten bei der weltweiten Finanzmarktkrise 2009 die Notenbanken wirkungsvoll eingreifen und die Banken stabilisieren. Die Folge: Auf einen scharfen Einbruch vor allem in der Autoindustrie folgte eine zügige Erholung. Diesmal sieht es anders aus – und die Liste der notwendigen Reparaturarbeiten ist deutlich länger: hohe Energiekosten, viel Bürokratie, politische Unsicherheit. Es gehe weniger um „eine Absatzflaute infolge verunsicherter Verbraucher als um die Lösung tiefgreifender, mitunter lange aufgeschobener, struktureller Themen für den Standort Deutschland“, sagt Seagon. Dies werde „immense finanzielle Ressourcen erfordern und viel Zeit in Anspruch nehmen“.
Neuer Pleitenrekord?
In zahlreichen Betrieben sind die Reserven jedoch längst aufgebraucht. Daher rechnet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform damit, dass die Insolvenzzahlen 2025 den bisherigen Höchststand des Krisenjahres 2009 erreichen könnten.
Wie ernst die Lage ist, zeigen auch Daten der Restrukturierungsberatung Falkensteg zu den Insolvenzen von Großunternehmen. Demnach mussten im letzten Quartal des Jahres 2024 exakt 64 Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 20 Millionen Euro Insolvenz anmelden, das sind 31 Prozent mehr als im Vorquartal und im Vorjahreszeitraum. Damals waren es jeweils 49 Unternehmen.
Die Insolvenzen konzentrieren sich demnach vor allem auf Unternehmen in der Umsatzklasse zwischen 20 und 50 Millionen Euro, wo 34 Insolvenzanträge gestellt wurden. Auch in der Kategorie über 100 Millionen Euro stieg die Zahl auf insgesamt 16 Fälle. Besonders betroffen sind Automobilzulieferer mit 13 Insolvenzen, gefolgt von Herstellern von Metallerzeugnissen und Immobilienunternehmen (11 Insolvenzen).
Die Gesamtentwicklung sei alarmierend, da es sich um den vierten Anstieg in Folge handelt und die Großinsolvenzen für das Jahr 2024 auf den Rekordwert von 202 Verfahren ansteigen lässt – ein Plus von 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
„Die deutliche Zunahme der Unternehmensinsolvenzen ist sowohl ein Symptom als auch eine Ursache für den Vertrauensverlust in die wirtschaftliche Stärke des Landes“, sagt Falkensteg-Partner Jonas Eckhardt. Ein Grundproblem seien die fehlenden Investitionen in Innovation und Modernisierung.
Unsicherheiten aufgrund der geopolitischen Entwicklungen und des politischen Vakuums hätten dazu geführt, dass Unternehmen ihre Investitionsausgaben deutlich zurückfahren. „Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, muss die neue Regierung schnellstmöglich klare politische Signale und wirtschaftliche Reformen auf den Weg bringen, die die Investitionsbereitschaft stärken“, erklärt Eckhardt.
Allerdings dürften mögliche Reformen – wenn überhaupt – erst gegen Ende des Jahres in der Wirtschaft ankommen. Die Großinsolvenzen werden daher „um weitere 25 Prozent auf über 450 Anträge zunehmen“, prognostiziert Restrukturierungsexperte Eckhardt.
Auch der bekannte Sanierungsexperte Hans-Joachim Ziems mahnt ein rasches Umsteuern an. „Wenn wir die Rahmenbedingungen nicht radikal ändern, gehen wir in einigen Branchen in die Knie“, so Ziems. „Wir können bei bestimmten Themen weltweit nicht mehr mitspielen.“
Einige der Probleme sind aus Sicht von leicht zu lösen, zum Beispiel die hohen Energiekosten, die derzeit die Chemieindustrie belasten. „Da braucht es im Grunde nur den politischen Willen, etwas zu ändern“, sagt Ziems. Schwieriger seien Branchen wie der Automobilsektor oder die Stahlindustrie, wo es nicht allein um ein singuläres Thema wie die Energie geht.“ Hinzu komme der Arbeitskräftemangel.
„Eigentlich sollte man den Menschen sagen: Ihr müsst mehr arbeiten und werdet weniger Geld verdienen“, so Ziems. „Das will in Deutschland keiner, aber es wäre notwendig, um in Sachen Wettbewerbsfähigkeit mithalten zu können.“ Sein Fazit: „Wir werden vor großen Umbrüchen stehen in den nächsten Jahren.“
Quelle: WiWo >>