Finanzwesen

Ukraine-Krieg führt zu drei Großpleiten – wie es mit den Insolvenzen weitergeht

Im zweiten Quartal gingen in Deutschland nur 19 Großunternehmen mit einem Umsatz von mehr als 20 Millionen Euro in die Insolvenz. Das sind nur etwas mehr als halb so viele wie im Quartal davor. Bis Jahresende könnte die Zahl aber stark ansteigen.

19 Großunternehmen mit einem Umsatz von mindestens 20 Millionen Euro haben zwischen April und Juni einen Insolvenzantrag gestellt, wie die Unternehmensberatung Falkensteg meldet. Das sind 42 Prozent weniger als in den ersten drei Monaten des Jahres und nur zwei mehr als ein Jahr zuvor. Der Trend hatte sich bereits angedeutet. Die Zahl der Insolvenzanträge war nach hohen Zahlen im Januar und Februar bereits im März wieder zurückgegangen.

Insgesamt meldeten damit im ersten Halbjahr 52 Großunternehmen Insolvenz an. Das sind 18 oder 53 Prozent mehr als im Vorjahr. Sollte dieses Verhältnis bis Jahresende bleiben, würde Deutschland rund 115 Pleiten erleben. Das läge in etwa im Schnitt der Jahre vor der Pandemie. 2020 waren die Insolvenzen corona-bedingt auf 181 große Fälle hochgeschossen, im vergangenen Jahr dann auch wegen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auf 75 zurückgegangen.

 

Ukraine-Krieg führt zu drei Großpleiten

Die größte Pleite des zweiten Quartals gab es bei der CargoLogic Germany. Die am Flughafen Leipzig/Halle beheimatete Fracht-Airline gehörte zur russischen Volga-Dnepr-Gruppe und operierte erst seit 2019. Wegen der Sanktionen gegen russische Unternehmen wurde auch die deutsche Tochter so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass die CargoLogic Germany im Juli aufgeben musste. Bisher hat sich noch kein Investor gefunden, sodass der Insolvenzverwalter zuletzt allen rund 60 Mitarbeitern kündigte. CargoLogic Germany hatte vergangenes Jahr noch 302 Millionen Euro umgesetzt.

Die Fluggesellschaft ist dabei nicht das einzige Unternehmen, das wegen des Ukraine-Krieges in die Insolvenz gehen muss. Auch die Pleiten des Kranbauers Kocks Ardelt und des Stahlbauers Reuther STC aus Brandenburg lassen sich darauf zurückführen. Beide bezogen ihren Stahl bisher hauptsächlich aus dem lange umkämpften ukrainischen Stahlwerk Asow bei Mariupol, welches bis heute keine Waren liefern kann. In beiden Fällen sind die Insolvenzen tragisch: Kocks Ardelt hatte vor wenigen Monaten noch bis Ende 2023 gefüllte Auftragsbücher gemeldet, während es für Reuther STC bereits die zweite Insolvenz ist, nachdem 2019 noch gerade die Rettung gelang.
 
Die restlichen Großinsolvenzen haben andere Gründe, darunter etwa die hohen Energiepreise und Rohstoffkosten, aber auch die noch immer stark gestörten Lieferketten aufgrund der Corona-Krise in China. All diese Faktoren könnten zusätzlich zum Ukraine-Krieg einen Anstieg der Insolvenzzahlen im zweiten Halbjahr begründen. Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung beim Finanzdienstleister Creditreform, weist dafür vor allem nach Österreich. Hier sei die Zahl der Insolvenzen stark angestiegen, nachdem zahlreiche Hilfspakete aus der Corona-Krise ausliefen.
 

Zahl der Insolvenzen dürfte ansteigen

Eine ähnliche Entwicklung sei auch für Deutschland zu erwarten: „Es wird noch dieses Jahr einen Trend zur Normalisierung geben“, sagt er, „eine große Insolvenzwelle wird aber ausbleiben.“ Mit Sicherheit lasse sich das aber nicht sagen. Zu unsicher sind die weltpolitischen Voraussetzungen: Da wäre auf der einen Seite der dritte Corona-Winter, der immer noch andauernde Ukraine-Krieg, sich vermutlich verschärfende Energieprobleme im Winter, die weiterhin massive Inflation weltweit und die wieder schlimmeren Beziehungen zwischen den USA und China.

Allerdings gibt es auch gute Nachrichten: So tragisch eine Insolvenz auch immer ist, bedeutet sie doch nicht immer das Aus des Unternehmens. Von den 75 Groß-Pleiten des Vorjahres sind mittlerweile 38 Unternehmen gerettet – entweder durch eine Übernahme oder durch eine Neustrukturierung der Schulden. Nur 19 Unternehmen mussten liquidiert werden, sind also wirklich vom Markt verschwunden. Bei 18 Unternehmen läuft das Verfahren noch. Zu den neu geretteten Firmen gehört zum Beispiel der der Zahnarztdienstleister Pluradent aus Offenbach und der Magdeburger Baumaschinenhersteller FAM. Die Modekette Orsay musste hingegen liquidiert werden. Ihre Marke wird aber künftig vom US-Investor Gordon Brothers vertrieben.