Finanzwesen

So viele Firmenpleiten in Deutschland wie seit Jahrzehnten nicht

Die Zahl der insolventen Unternehmen erreicht neue Höchststände. Aber zwei Umstände machen Hoffnung auf Besserung – und besonders laut klagende Branchen sind häufig nicht betroffen.

 

 

Die Zahl der Insolvenzen hat in den ersten drei Monaten des Jahres neue Höchststände erreicht. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in seinem Insolvenztrend. Er liegt dem Handelsblatt exklusiv vor.

Demnach gab es seit Beginn der Erhebung 2016 noch nie so viele Firmenpleiten bei Personen- und Kapitalgesellschaften wie im März dieses Jahres. Die deutsche Wirtschaft hat damit das Hoch aus dem Februar noch einmal um neun Prozent übertroffen.

Das Ergebnis liege überdies „35 Prozent höher als im März 2023 und 30 Prozent über dem März-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Coronapandemie“, heißt es von den IWH-Forschern. Bloß vor etwa 20 Jahren, als das IWH die Daten noch nicht erhob, habe es in der bundesdeutschen Geschichte noch schlimmere Phasen gegeben.

 

Corona-Hilfen hielten künstlich am Leben

1297 Insolvenzen gab es in Deutschland im März. Als Gründe nennen die Forscher die gestiegenen Kosten, zum Beispiel Refinanzierungskosten durch höhere Zinsen, höhere Lohnkosten und auch Energiekosten.

„Viele Geschäftsmodelle basierten auf der Annahme niedriger Zinsen. Die Kalkulation ist mit dem Anstieg der Zinsen 2022 nicht mehr aufgegangen“, resümierte IWH-Insolvenzforscher Steffen Müller. Obendrein belaste Unternehmen der Fachkräftemangel.

 

Mit den Corona-Hilfen wurden vor allem unproduktive Unternehmen am Leben erhalten.
– Steffen Müller, IWH-Forscher

 

Doch eine Vielzahl der Insolvenzen dürfte auch Folge der Coronapandemie sein. „Mit den Corona-Hilfen wurden vor allem unproduktive Unternehmen am Leben erhalten, die es nun in einem deutlich schwierigeren Umfeld nicht mehr schaffen“, sagte IWH-Forscher Müller.

„Ein Teil der derzeit hohen Insolvenzzahlen ist also durch eine nachholende Corona-Insolvenzwelle zu erklären.“

Während der Pandemie gab es weit weniger Insolvenzen als sonst. Ein Grund dafür waren die zahlreichen Hilfen des Staates. Er gab Unternehmen Zuschüsse oder Kredite, erleichterte den Zugang zum Kurzarbeitergeld und weichte vorübergehend das Insolvenzrecht auf.

Auffällig ist ein Blick auf die Branchen. Demnach treffen die Insolvenzen derzeit vor allem den Immobilien- und Bausektor. Laut IWH sind viele Bauträger in die Insolvenz gegangen. Im Vergleich zu 2020 hätten sich die Insolvenzen im Grundstücks- und Wohnungswesen mehr als verdoppelt (plus 148 Prozent).

Zum einen sei die Nachfrage eingebrochen, weil der Trend zum Homeoffice die Nachfrage nach Büroräumen senkte. Zudem brachten die höheren Zinsen die Kalkulation von Immobilienkäufern durcheinander. Im Bauwesen sei die Zahl der Insolvenzen von 353 im 1.Quartal 2020 auf nun 510 im 1. Quartal 2024 gestiegen.

In der Industrie registrieren die Forscher nur eine Zunahme von fünf Prozent auf 339 Insolvenzen. Im Sektor Verkehr und Lagerei wiederum gab es im Vergleich zum 1. Quartal 2020 sogar acht Prozent weniger Insolvenzen.

„Aufgeschlüsselt zeigt sich, dass Branchen wie das Transportgewerbe, aber auch die Industrie, bei Weitem nicht so von Insolvenzen betroffen sind, wie sich nach den Klagen der Branchen erwarten ließe“, sagte Müller.

Laut IWH waren bei den zehn Prozent der größten insolventen Unternehmen im März circa 11.000 Beschäftige betroffen. Entsprechend liege die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Niveau vom Februar, „aber etwa 42 Prozent höher als in einem durchschnittlichen März vor der Coronapandemie“.

 

Beschäftigte müssen sich meist nicht sorgen

Aufgrund des Fachkräftemangels fänden sie aber schnell wieder Arbeit. Deshalb sei das Risiko, arbeitslos zu bleiben oder langfristig weniger Einkommen zu erzielen nach einer Insolvenz des Arbeitgebers „derzeit begrenzt“.

Es gibt auch Grund zur Hoffnung. Als Frühindikator blicken die Forscher des IWH auf die vorinsolvenzrechtlichen Gerichtsentscheidungen. „Im April werden wir noch einmal viele Insolvenzen registrieren“, sagte Müller. Im Mai, spätestens im Juni dürfte die Zahl der Insolvenzfälle sinken.

Denn einerseits ist zu erwarten, dass die Zahl der nachgeholten Corona-Insolvenzen abnimmt. Anderseits fängt die konjunkturelle Lage in Deutschland langsam an sich zu erholen. Vor allem Zinssenkungen, die in den nächsten Monaten anstehen dürften, nähren diese Hoffnung und könnten viele Unternehmen entlasten.

 

Quelle: Handelsblatt