Finanzwesen

Insolvenzen nehmen zu – ausgerechnet Energieversorger machen vermehrt schlapp

Preise für Strom, Öl und Gas stark gestiegen.
 
Zwischen Januar und März haben 71 Prozent mehr Großkonzerne in Deutschland einen Insolvenzantrag gestellt als im Vorjahr. Die Zahl resultiert aus den stark gestiegenen Energiepreisen und Lieferproblemen. Der Ukraine-Krieg könnte sie im Herbst weiter ansteigen lassen.
 
Paul Zinken/dpa-Zentralbild/dpa
 
 

29 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 20 Millionen Euro haben im ersten Quartal 2022 einen Insolvenzantrag eingereicht. Das berichtet die Unternehmensberatung Falkensteg in ihrem ersten Report des Jahres. Die Zahl liegt damit um 33 Prozent höher als noch zwischen Oktober und Dezember und sogar 71 Prozent unter der Zahl der Großinsolvenzen im ersten Quartal 2021. Sie erreicht aber nicht einmal die Hälfte des Niveaus der ersten Coronawelle vor zwei Jahren. Damals gingen zwischen April und Juni 2020 sogar 63 Großunternehmen in die Pleite.

Unter den 29 Großpleiten der ersten drei Monate finden sich acht Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro. An der Spitze steht dabei die Pluradent aus München. Der Zulieferer von Equipment für Zahnärzte mit 310,5 Millionen Euro Umsatz meldete im März Insolvenz an. Ihm folgen die Kehag Energiehandel GmbH aus Oldenburg (Januar, 300 Millionen Euro Umsatz) und FAM aus Magdeburg (Februar, 220,4 Millionen Euro Umsatz). FAM stellt Anlagen für den Braunkohleabbau her.

Warum besonders Energieversorger pleitegehen

Auffallend an den Großinsolvenzen ist laut Falkensteg, dass es neben der Kehag Energiehandel weitere Energieversorger getroffen hat. Das wirkt erst einmal merkwürdig, da die Preise für Strom, Öl und Gas seit vergangenem Herbst stark gestiegen sind – was infolgedessen auch für die Gewinne der Energieversorger gelten sollte. Viele haben damit aber ein Problem, denn sie haben ihren Kunden in langfristigen Verträgen günstige Tarife versprochen, müssen sich jetzt die Energie aber immer teurer am Markt einkaufen. Daraus resultieren teils zu hohe Verluste.

Die Kehag Energiehandel, die vor allem Industriebetriebe mit Strom und Erdgas versorgt, musste deswegen ihre Lieferungen schon im Dezember einstellen. Zum Jahreswechsel wurden die nicht mehr tragbaren Verträge gekündigt und Insolvenz angemeldet. Das kann die Kehag noch teuer zu stehen kommen, denn ihre ehemaligen Kunden mussten nun teurere Tarife bei anderen Lieferanten abschließen und dürfen den Differenzbetrag bei der Kehag einklagen – sofern genug Geld in der Insolvenzmasse zur Verfügung steht.

„Der wirtschaftliche Druck könnte in den nächsten Monaten weitere Lieferanten und Händler in die Insolvenz treiben“, schreibt Falkensteg. Besonders betroffen seien Versorger, deren Geschäftsmodell vom kurzfristigen Einkauf von Energie bei gleichzeitig langfristigen Verträgen mit Kunden lebe. Im gesamten vergangenen Jahr gingen nur zwei Energieversorger Pleite – 2022 waren es in den ersten drei Monaten schon vier.

Ukraine-Krieg wirkt sich erst im Herbst aus

Für das gesamte Jahr lässt der Trend einen Anstieg der Insolvenzen vermuten. Ausgehend vom ersten Quartal könnten rund 120 Großunternehmen einen Antrag stellen. Das wären in etwa so viele wie zuletzt 2019. Während 2020 die Zahl auf Grund der Coronakrise stark auf 183 Großinsolvenzen anstieg, sank sie 2021 auf nur 73 – auch wegen zahlreicher Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung.

Der im Februar ausgebrochene Ukraine-Krieg könnte die Situation weiter verschärfen. Sichtbar wird das laut Falkensteg aber wohl erst im zweiten Halbjahr. Schließlich geraten Unternehmen jetzt erst in Schieflage, weil Güter aus der Ukraine und Russland fehlen oder der dortige Absatzmarkt wegbricht. Von ersten Problemen bis zur Insolvenz vergehen aber in der Regel etliche Monate. Den Anstieg im ersten Quartal führen die Experten neben den gestiegenen Energiepreise auch auf die noch wegen Corona bestehenden globalen Lieferprobleme zurück.

Bedenklich ist aber auch, was aus Unternehmen in der Insolvenz wird. Von den 73 Pleiten des Vorjahres sind 28 Verfahren weiterhin offen. Bei 18 musste der Betrieb komplett eingestellt werden. Umgekehrt konnten nur 36 Prozent der insolventen Groß-Unternehmen gerettet werden. Das ist die schlechteste Quote seit 2017. Auch von den Pleiten des Jahres 2020 sind noch 17 Verfahren offen.

Gesamtzahl der Insolvenzen sinkt

Der Trend bei Großunternehmen reflektiert dabei nicht die Zahl aller Insolvenzen. Laut Statistischem Bundesamt wurden zwischen Januar und März 2566 Regelinsolvenzen in Deutschland beantragt. Das sind zwar rund acht Prozent mehr als zwischen Oktober und Dezember, aber auch vier Prozent weniger als im Vorjahr – obwohl damals noch die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt war. Auch gegenüber dem ersten Quartal 2020 (-25 Prozent) und 2019 (-26 Prozent) meldeten weniger Unternehmen Insolvenz an.

Experten sind sich noch unsicher, ob die Zahl der Insolvenzen in diesem Jahr steigen wird. Die Möglichkeit ist aber durchaus gegeben. Zum einen laufen letzte Schutzmechanismen aus der Pandemie aus, zum anderen belasten die hohen Energiepreise und der Ukraine-Krieg gerade viele Mittelständler.

 

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