Finanzwesen

Hart in der Sache, freundlich im Ton: Fintechs verändern die Inkasso-Branche

Junge Tech-Unternehmen machen den etablierten Anbietern mit einer individuellen Kundenansprache und neuen Technologien Konkurrenz. Die Branche steht vor einer Konsolidierung.

 

Miet- und Stromschulden gelten als besonders heikel, weil sie die Lebenssituation bedrohen. (Foto: dpa)

 

Briefe von Inkassodienstleistern sind für säumige Schuldner häufig unerfreulich: barsch im Ton, verbunden mit dem Hinweis auf mögliche Konsequenzen im Falle der Zahlungsverweigerung. Junge Finanztechnologieunternehmen, Fintechs genannt, wollen das ändern und das Image der Branche verbessern.

Philip Rürup war früher selbst bei einem etablierten Inkassodienstleister tätig, bis er sich 2017 entschloss, mit seinem Start-up Troy neue Wege zu gehen. Hier gelten Schuldner als Kunden, die beim Zahlungsprozess bestmöglich betreut werden sollen. Denn Rürups Erkenntnis ist: „Je besser die Erfahrung der Kunden mit diesen Zahlprozessen ist, desto eher sind sie bereit, im Inkasso zu zahlen.“ Rürup nimmt für sich in Anspruch, dass die Rückzahlungsquote für seine Auftraggeber dadurch um 15 bis 25 Prozent besser ausfalle als beim „klassischen“ Inkasso.

Mit seinen Kunden nutzt Troy alle Kommunikationswege über Chats, SMS, Messengerdienste oder Mails. Die meisten betroffenen Kunden würden nämlich einfach vergessen, ihre Rechnungen zu begleichen, oder hätten einen zeitweiligen Engpass, beobachtet Rürup. Diese Kunden könne man digital gut „abholen“. Auch die Zahlungswege kann sich der Kunde aussuchen – Bargeld, Paypal, Kreditkarte.

Stephan Stricker, Gründer und Chef des Inkassodienstleisters Pair Finance, geht einen ähnlichen Weg: „Durch moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz sind wir heute dazu in der Lage, den einzelnen Menschen individuell über seinen bevorzugten Kanal und zu einer für ihn angenehmen Uhrzeit anzusprechen und ihm ein persönliches Lösungsangebot zu machen.“

Dieser Entwicklung versuchen sich die etablierten Größen in der Branche anzupassen. „Fintechs bringen schon frischen Wind in die Branche“, sagt Holger Taubmann, Geschäftsführer für Deutschland, Österreich und Schweiz beim Inkassodienstleister Lowell, der in Deutschland nach eigenen Angaben zu den Top vier gehört.

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen ändern sich

Ein Problem für die Branchengrößen ist der technologische Nachholbedarf. „Wenn man Systeme hat, die eine Weile gelaufen sind, braucht es Zeit, bis diese Systeme an die digitale Welt angepasst sind“, sagt Taubmann. In vielen Bestandssystemen der etablierten Inkassodienstleister ist eine Interaktion in Echtzeit unter Zusammenführung verschiedener Kommunikationskanäle nicht möglich.

Gleichzeitig ändern sich auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Branche. Seit Oktober 2021 gelten neue Gebührensätze, die dazu führen, dass die Einnahmen der Inkassodienstleister im Vergleich zum Status quo um 20 Prozent sinken werden, schätzt der Branchenverband BDIU.

Lowell-Manager Taubmann rechnet deshalb mit einer weiteren Konsolidierung in der Branche. Dafür sieht sich das Unternehmen Lowell wiederum gut gerüstet. „Aufgrund unserer langjährigen Tätigkeit verfügen wir über einen umfangreichen Datenbestand“, so Taubmann. Gekoppelt mit der Erfahrung im Bereich Datenanalyse „können wir unseren Kunden wertvolle Unterstützung leisten und beispielsweise der Überschuldung von Konsumenten vorbeugen“.

Auch Fintechs stoßen an ihre Grenzen

Dieses Ziel verfolgt auch Susanne Krehl, Gründerin und Chefin der App Fabit: „Wir wollen den Menschen helfen, Ordnung in den eigenen Finanzen zu schaffen.“ Verschiedene Inkassounternehmen kooperieren bereits mit Fabit und haben das Angebot auf ihrer Website integriert.

Viele Menschen hätten keine Übersicht darüber, was sie monatlich finanziell zur Verfügung hätten, sagt Krehl. Zudem sei eine Kategorisierung und Priorisierung von Schulden wichtig. „Gefährliche Schulden sind die, die die Lebenssituation bedrohen, wie etwa Miet- und Stromschulden.“ Die Offenheit der Inkassobranche für diese Angebote zeige ihr, dass der Erhalt der Kundenbeziehung immer stärker in den Mittelpunkt rücke.

Die Kernaufgabe ist und bleibt für Inkassodienstleister aber dieselbe: Unternehmen beauftragen sie mit der Maßgabe, Forderungsausfälle so gering wie möglich zu halten. Bei überschuldeten Verbrauchern stoßen allerdings auch die Fintechs in puncto Zahlungsmoral an ihre Grenzen. Wenn alle ausgefeilten Kommunikationsstrategien und finanzielles Entgegenkommen keinen Erfolg haben, bleibt letztlich nur der gerichtliche Weg, der mit einer Zwangsvollstreckung enden kann.

 

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