Finanzwesen

Großinsolvenzen 2022 massiv angestiegen – und der Trend setzt sich fort

217 Unternehmen mit mehr als 10 Millionen Euro Umsatz haben 2022 Insolvenz angemeldet. Die Zahl ist damit erwartungsgemäß stark angestiegen, eine Insolvenzwelle bleibt trotz aller Krisen aber aus. Experten sehen das mit gemischten Gefühlen.

 

 

Zweimal ist Galeria Karstadt Kaufhof in den vergangenen drei Jahren in die Insolvenz gegangen, doch noch immer geht das Geschäft an 131 Standorten weiter. Erst im Frühjahr soll beschlossen werden, was mit den Filialen geschieht. Angeblich stehen bis zu 90 vor dem Aus, doch der Konzern könnte dann nach der Insolvenz weitermachen. So sichtbar ist eine Firmenpleite in Deutschland selten, vor allem in der Größenordnung. Galeria Karstadt Kaufhof führt entsprechend auch das Ranking der Großinsolvenzen in Deutschland im vergangenen Jahr vor dem Autozulieferer Borges, den MV Weften und dem Dentalhändler Pluradent an.

217 Großunternehmen meldeten laut der Unternehmensberatung Falkensteg im vergangenen Jahr Insolvenz an. Als Großunternehmen gilt dabei jedes, das mindestens 10 Millionen Euro Umsatz verbucht. 217 solcher Insolvenzen sind 65 mehr als noch im Vorjahr, ein Anstieg um 42 Prozent. Der Gesamtumsatz der insolventen Unternehmen stieg von 7,7 auf 11,6 Milliarden Euro, also um rund 50 Prozent.

Jonas Eckhardt von Falkensteg sieht das mit gemischten Gefühlen. „Es ist ein leichter Aufwärtstrend, aber wie sehen keine Insolvenzwelle“, sagt er. Der Vergleich mit 2021 hinkt in der Tat ein wenig. Durch staatliche Corona-Hilfen und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gab es in diesem Jahr so wenige Insolvenzen wie nie zuvor. Mit dem jetzigen Anstieg nähert sich die deutsche Wirtschaft also wieder dem Normalzustand von vor der Pandemie an. Auch abseits von Großunternehmen lässt sich keine Pleitewelle erkennen. Bis Ende September notierten Amtsgerichte 10.643 Insolvenzanträge. Das waren sogar 0,4 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Zahl der Kreditausfälle steigt

Aber: Diese nur langsam steigenden Insolvenzzahlen sind nicht nur ein gutes Zeichen. „Sie verzerren das reale Bild der Wirtschaft“, sagt Eckhardt. Seine These, die auch andere Ökonomen stützen, ist, dass es in Deutschland viel mehr Unternehmen Not leiden als die Insolvenzstatistik ausdrückt. Darauf deutet zum Beispiel eine andere Statistik hin: Die Summe der Kreditausfälle hat sich 2022 auf 700 Millionen Euro erhöht. Die Unternehmensberatung EY erwartet, dass der Anteil fauler Kredite 2023 in Deutschland von 1,2 auf 2,3 Prozent steigen wird.

Dass es vielen Unternehmen schlecht geht, ist nach zwei Jahren Corona-Pandemie, drei Jahren hoher Rohstoffpreise und zusammengebrochener Lieferketten, drei Jahren No-Covid-Politik in China mit diversen Lieferausfällen und jetzt einem Jahr teils extremer Energiekrise wenig verwunderlich. Doch staatliche Hilfsmaßnahmen und eben die Änderungen des Insolvenzrechts in den vergangenen Jahren halten viele Firmen noch am Leben. Wer das despektierlich ausdrücken möchte, redet von „Zombie-Unternehmen“.

Experten erwarten Anstieg der Insolvenzen 2023

Pragmatischer drückt es Eckhardt aus: „Insolvenzen sind wichtig für das Wirtschaftsleben. Produkte und Mitarbeiter werden in unrentablen Firmen verschwendet, während viele profitable Unternehmen diese händeringend suchen, um mit diesen nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften.“ Er sieht aber auch in der Wirtschaft ein Umdenken. Vielfach würden Insolvenzanträge heute früher gestellt. Das ist klug, denn Deutschland besitzt eines der besten Insolvenz- und Sanierungssysteme der Welt. Wird das früh genug genutzt, lässt sich meist das Unternehmen im Kern erhalten.

Nur deswegen ist es überhaupt möglich, dass Galeria Karstadt Kaufhof 2020 und 2022 gleich zweimal Insolvenz anmelden konnte und beide Verfahren wohl immer noch als Unternehmen überlebt – und sei es nur mit 40 von ursprünglich 172 Kaufhäusern und etlichen tausend Mitarbeitern weniger. Selbst von den Filialen, die nicht weitergeführt werden, könnten einige an andere Investoren verkauft werden, die diese dann unter neuem Namen öffnen.

2023, da sind sich Ökonomen einig, dürfte die Zahl der Insolvenzen wohl weiter ansteigen. Schließlich sind die Energiepreise weiter hoch, die Lieferschwierigkeiten gerade aus China werden frühestens im Sommer überwunden. Steigende Leitzinsen machen die Finanzierung per Kredit immer teurer und damit schwieriger. Das drückt doppelt, denn nach den Krisenjahren sind bei vielen Unternehmen die finanziellen Reserven erschöpft. Einige Branchen, so sagt Eckhardt, steckten zudem in einer Dauerkrise. Gemeint sind etwa die Baubranche, der Einzelhandel und Automobilzulieferer. Neu dürfte es 2023 die Immobilienbranche und das Gesundheitswesen treffen. Eine Insolvenzwelle soll es trotzdem nicht geben, vielmehr einen stetigen Anstieg.

 

Sponsored / © Finanzen100 ; Von FOCUS-online-Autor Christoph Sackmann