Erst kommen die Firmenpleiten, dann die Verbraucherinsolvenzen
Nach einem Jahrzehnt Aufschwung sorgt die Coronakrise bei vielen Verbrauchern künftig für schmerzhafte Einbußen beim Einkommen. Denn als Konsequenz der von vielen Fachleuten erwarteten Welle von Firmenpleiten dürften auch Privatinsolvenzen spürbar zulegen. „Ende 2021 werden wir einen Peak sehen“, sagt der Chefökonom der Wirtschaftsauskunftei Creditreform, Patrik-Ludwig Hantzsch.
Auch Verbraucherexperte Christoph Zerhusen sieht erste Warnsignale, dass viele Deutsche tief in der Kreide stehen. „Das dicke Ende kommt noch.“ So sei das Kurzarbeitergeld in der Krise zwar ein vorübergehendes Mittel zur Existenzsicherung. Aber bei einem flächendeckenden Einsatz sei es nicht geeignet, „um der Armutsbekämpfung gerecht zu werden und um dem Überschuldungsrisiko zu entgehen“.
Nach der starken Rezession 2009 wegen der Finanzkrise war die Zahl der Verbraucherinsolvenzen 2010 auf knapp 110.000 gestiegen. Seitdem ging diese Zahl – auch im Zuge des Aufschwungs und sinkender Arbeitslosigkeit – stetig zurück.
Im vorigen Jahr stellten laut Creditreform noch knapp 63.000 Menschen in Deutschland einen Antrag auf Privatinsolvenz. Nach den ersten sechs Monaten 2020 gingen sogar nur 27.992 Verbraucher einen solchen Schritt – und damit nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gut 14 Prozent weniger als vor Jahresfrist. „Ich glaube, dass dieses Jahr noch ein Tiefstand erreicht wird“, sagt Jurist Zerhusen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
Dies hat auch ganz stark mit einer Gesetzesänderung zu tun. Denn der Bund setzt eine EU-Richtlinie um, wonach Insolvenzantragsteller künftig schon nach drei Jahren schuldenfrei sind und nicht erst nach sechs Jahren. Diese Verkürzung des sogenannten Restschuldbefreiungsverfahrens sollte ursprünglich bereits zum 1. Oktober gelten. Dies dürfte sich allerdings verschieben. Die Folge liegt auf der Hand: „Niemand stellt im Moment einen Antrag. Alle warten jetzt auf das neue Gesetz“, betont Zerhusen.
Dabei ist der Trend für die NRW-Verbraucherschützer klar: „Zu den bitteren Folgen der Corona-Pandemie gehört, dass die Zahl der überschuldeten Haushalte in die Höhe schießt.“ Trotz Hilfsmaßnahmen wie Extra-Kindergeld oder zeitweiser Stundung von Miete oder Kreditraten zeichne sich „ein drastischer Anstieg der Privatinsolvenzen ab“, warnt die Verbraucherzentrale. Zerhusen verweist auf die Überschuldungsquote von rund zehn Prozent aller Erwachsenen und zieht einen Vergleich: „Es gibt mehr Kranke, aber keiner geht zum Arzt.“ Im Oktober 2019 hatte Creditreform die Zahl der überschuldeten Bürger auf 6,9 Millionen taxiert.
Für das nächste Jahr erwarten Experten dann mehr private Pleiten. Denn Ökonomen und Wirtschaftsvertreter rechnen damit, dass vielen Firmen die Luft ausgeht, wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausläuft. Die Bundesregierung hat den überschuldeten Unternehmen, die aber nicht zahlungsunfähig sind, bis Jahresende hier Erleichterung verschafft. Hier würden allerdings auch einige Betrieb künstlich über Wasser gehalten, sagt Creditreform-Experte Hantzsch. Er spricht von einer „Ruhe vor dem Sturm“. Im ersten und zweiten Quartal 2021 dürfte es dann einen Anstieg bei den Firmenpleiten geben. „Dem nachfolgend werden wir einen Arbeitsabbau sehen und dann wird Überschuldung viel häufiger auftreten.“ Es dauere aber danach noch eine Weile, bis das im Einzelfall in die Pleite von Verbrauchern münde. Ende 2021/Anfang 2022 werde man einen größeren Effekt bei den Privatinsolvenzen sehen.
Stärkster Auslöser für eine ausweglose Finanzlage sei Arbeitslosigkeit, vor Krankheit und Sucht, sagt Hantzsch. Dies dürfte in der Coronakrise etwa viele Soloselbstständige treffen oder Beschäftigte in den stark gebeutelten Branchen Gastronomie, Tourismus und Luftfahrt. Zudem sei die Autobranche – neben dem Einbruch durch die Virus-Pandemie – im Strukturwandel, was die massiven Stellenstreichungen der Zulieferer zeigten. „Diese Leute werden mittelfristig auf der Straße stehen.“ Viele staatliche Hilfen liefen bis zur Bundestagswahl 2021, sagt der Creditreform-Experte. „Im Wahljahr wird man vieles dafür tun, wenig Arbeitslose zu bekommen.“ Das könnte sich danach womöglich ändern.
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