Finanzwesen

Das Insolvenzrecht wird wieder scharf gestellt

Nach dem drastischen Anstieg der Energiepreise hatte die Bundesregierung das Insolvenzrecht gelockert, um Unternehmen Zeit zu verschaffen, ihre Geschäftsmodelle anzupassen. Nun endet eine wichtige Übergangsfrist.

 

 

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist zuletzt deutlich gestiegen. Allein im Juli beantragten fast ein Viertel mehr Unternehmen Regelinsolvenzverfahren als im Vorjahresmonat, teilte das Statistische Bundesamt vor wenigen Tagen mit. Bereits seit August 2022 nimmt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen kontinuierlich zu. Und mit einem Trendwechsel ist vorerst nicht zu rechnen. Im Gegenteil: Die Konjunktur schwächelt, in der Bau- und Immobilienbranche, im Einzelhandel und in der Altenpflege häufen sich die Unternehmenshavarien.

Hinzu kommt noch ein technischer Effekt: Ab September gilt wieder das „normale“ Insolvenzrecht für Unternehmen. Der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung verlängert sich dann von wieder auf zwölf Monate. Was abstrakt klingt, hat reale Folgen. Denn der Prognosezeitraum bestimmt, wie lange Unternehmen eine ausreichende Finanzierung für die Zukunft dokumentieren müssen.

Die Bundesregierung hatte den Zeitraum Ende 2022 auf vier Monate verkürzt, um Unternehmen angesichts der damals stark gestiegenen Energiepreise Zeit zu verschaffen, ihre Geschäftsmodelle anzupassen. Die Regelungen des „sanierungs- und insolvenzrechtlichen Krisenfolgenabmilderungsgesetzes“ (SanInsKG) wurden zwar bis zum 31. Dezember 2023 befristet. „Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Regelung schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer ihre praktische Wirksamkeit einbüßt“, heißt es beim Gravenbrucher Kreis, einer Vereinigung führender Insolvenzverwalter.

Denn schon ab 1. September reicht die viermonatige Prognosedauer über den Jahreswechsel 2023/2024 hinaus, entsprechend gilt schon zu diesem Zeitpunkt auch wieder der zwölfmonatige Prognosezeitraum. Dies bedeutet im Grundsatz, dass betroffene Unternehmen innerhalb der Insolvenzantragsfrist von acht Wochen, also bis Ende Oktober, einen Insolvenzantrag stellen müssten.

 

Das StaRUG als Lösung?

„Der verkürzte Planungshorizont von vier Monaten hat vielen Unternehmen geholfen, bis jetzt durchzuhalten“, sagt dazu Riaz Janjuah, Restrukturierungsberater und Partner der Wirtschaftskanzlei White & Case. „Die Rückkehr zum Prognosezeitraum von zwölf Monaten wird nun aber umso schwieriger“, erwartet Janjuah. Der Beratungsbedarf von Vorständen und Geschäftsführern sei momentan jedenfalls hoch. „Schließlich geht es für sie auch um Haftungsfragen“, so Janjuah.

Gerade in der Immobilienbranche und bei Start-ups zeige sich schon jetzt, „wie schwierig es ist, über einen längeren Zeitraum zu planen“. Der Finanzierungsmarkt ist ausgetrocknet, neue Investoren halten sich zurück. „Die Lage wird durch die Rückkehr zum verschärften Insolvenzrecht sicherlich nicht einfacher werden“, glaubt der Sanierungsexperte.

Ähnlich sieht das auch der Juist Nils Andersson-Lindström von der auf Sanierungsverfahren spezialisierten Kanzlei Reconomis. Als Alternative zu einem Insolvenzantrag wegen Überschuldung empfiehlt er die Einleitung eines Sanierungsverfahrens nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), das zuletzt etwa beim Modehändler Gerry Weber und dem Autozulieferer Leoni zur Anwendung kam.

Über das StaRUG könnten Unternehmen „einen Restrukturierungsplan erarbeiten, der die Gläubiger in einzelne Gruppen unterteilt und so einen gezielten Schuldenschnitt vornehmen“, so Andersson-Lindström. „Damit lassen sich zwar keine grundlegenden operativen Probleme lösen, aber die Schuldenlast wird auf ein tragfähiges Niveau reduziert.“

Für viele kleinere Unternehmen dürften die Anforderungen und der Beratungsaufwand für ein solches Sanierungsverfahren außerhalb der Insolvenz allerdings zu hoch sein. Für sie bleibt wohl nur der rechtzeitige Gang zum Insolvenzgericht.

 

Quelle: ©Wirtschaftswoche