Coronavirus und Insolvenzen
Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht verabschiedet.
In der jetzigen Situation hat die Rettung von Menschenleben höchste Priorität. Zugleich aber muss die Sicherstellung unserer wirtschaftlichen Existenz organisiert werden. Der Gesetzgeber handelt daher aktuell in Rekordzeit. Neben der Verabschiedung einer Vielzahl von Unterstützungs- und Finanzierungspaketen wurde in der Bundestagssitzung am 25. März 2020 unter anderem auch das Insolvenz- und Zivilrecht der Krisensituation angepasst. Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht umfasst fünf Artikel, in denen jeweils Änderungen einzelner Rechtsbereiche geregelt sind.
Die Regelungen greifen tief in das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ein. Nachfolgend wollen wir daher kurz beleuchten, was die Krise für Gläubiger bedeutet und wie mit den vorgesehenen gesetzlichen Regelungen umgegangen werden sollte:
a) Coronakrise als höhere Gewalt
Unabhängig von den jetzigen gesetzlichen Änderungen hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Zusammenhang mit der Auslegung der haftpflichtrechtlichen Bestimmung des § 651j BGB „höhere Gewalt“ definiert als „ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“ (BGH, Urteil vom 12.03.1987, Az.: VII ZR 172/86 m.w.N.) Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags habe, so führt die zitierte Entscheidung weiter aus, „im Gesetzgebungsverfahren solche außergewöhnlichen Umstände wie Krieg, innere Unruhen oder Naturkatastrophen als Beispiele höherer Gewalt genannt“ (BGH, a.a.O.).
Geradezu musterbeispielhaft stellen die verheerenden Auswirkungen des Virus auf den Lebensalltag und das Wirtschaftsleben sowohl in Deutschland als auch in anderen betroffenen Ländern einen typischen Fall höherer Gewalt dar.
Nach deutschem Recht wird ein Vertragspartner von seiner Leistungspflicht frei, wenn diese von ihm aufgrund höherer Gewalt endgültig nicht erbracht werden kann. Ob die Nichterbringung der konkreten Leistungspflicht gerade ursächlich durch die Coronakrise veranlasst ist, muss jeweils im Einzelfall geprüft werden. Sicher ist zum Beispiel, dass dies der Fall ist, wenn eine Veranstaltung aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr durchgeführt werden kann. Eher problematisch ist es jedoch, wenn ein Werkvertrag nicht fristgemäß erfüllt werden kann, weil die Mitarbeiter des Auftragnehmers aufgrund des Wegfalls der Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht mehr zur Arbeit erschienen sind.
Im internationalen Rechtsverkehr wird der Wegfall der Leistungspflicht im Falle höherer Gewalt („force majeure“) meistens ausdrücklich im Vertrag geregelt. Auch hier muss der Nachweis geführt werden, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Krise und der Unmöglichkeit der Leistung besteht, dann aber sehen die Regelungen regelmäßig vor, dass die Nichterbringung der Leistung für den Verpflichteten folgenlos bleibt. Allerdings ist dabei auch hier stets zu prüfen, ob die Unmöglichkeit der Leistung alleine auf die Krisenumstände zurückzuführen ist und ob nicht die Möglichkeit besteht, die Leistung später nachzuholen.
b) Artikel 5: Änderungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche
Ergänzend zu der unverändert gültigen Handhabung des Themas „Höhere Gewalt“ trifft das Gesetz für die Zeit der Krise zahlreiche Sonderregelungen, die tief in das Schuldner-Gläubiger-Verhältnis eingreifen. Hierzu im Einzelnen:
Allgemeines Moratorium für Verbraucher und Kleinstunternehmen
Verbraucher sind zur Sicherung ihrer Existenz berechtigt, ihre Verpflichtung aus wesentlichen (zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlichen) Dauerschuldverhältnissen, die vor dem 8. März 2020 geschlossen wurden, zunächst bis 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn anderenfalls krisenbedingt ihrer oder der angemessene Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährdet wäre.
Dies gilt entsprechend für sogenannte Kleinstbetriebe (bis zu 9 Mitarbeiter und 2 Mio. Euro Jahresumsatz oder Bilanzsumme), wenn deren Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen des Betriebs nicht möglich wäre und es um die Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung des Betriebs geht.
Diese Regelung gilt nicht für Arbeitsverträge, so dass Arbeitnehmer ihren Zahlungsanspruch in voller Höhe behalten. Auch für Miet-, Pacht- und Darlehensverträge gelten nur die nachfolgend erläuterten Sonderregelungen:
Kündigungsbeschränkung von Miet- und Pachtverträgen
Miet- und Pachtverträge über Grundstücke und Räume dürfen mit Wirkung bis zum 30. Juni 2022 nicht wegen krisenbedingtem Ausbleiben der Miete in der Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2020 gekündigt werden. Dass die Miete krisenbedingt nicht gezahlt werden kann, muss der Mieter gegenüber dem Vermieter glaubhaft machen.
Regelungen zum Darlehensrecht
Für Verbraucherdarlehensverträge, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, gilt eine Stundung der jeweils fälligen Zins- und Tilgungsleistungen in der Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2020 für drei Monate, sofern die Leistung der Raten dem Verbraucher krisenbedingt nicht zugemutet werden kann. Eine Kündigung des Darlehens kann in dieser Zeit auch nicht auf eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse oder der Werthaltigkeit von Sicherheiten gestützt werden.
Dem Verbraucher soll Gelegenheit gegeben werden, eine einvernehmliche Regelung über die gestundeten Raten zu treffen. Kommt diese nicht zustande, verlängert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate.
Ausnahmen von diesen Regeln gelten nur für den Fall völliger Unzumutbarkeit für den Darlehensgeber. Das Gesetz enthält zugleich eine Ermächtigung, dass der Begünstigtenkreis durch Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages geändert werden kann, insbesondere die oben bereits erwähnten Kleinstunternehmen in den Kreis der Begünstigten einbezogen werden können.
Weitere Ergänzungsmöglichkeiten durch die Bundesregierung
Um die in der Krise erforderliche Flexibilität und Geschwindigkeit in der Umsetzung von Änderungen sicherzustellen, enthält § 4 des Art. 5 noch eine umfassende Verordnungsermächtigung, die es der Bundesregierung ermöglicht, die genannten Fristen zu verlängern.
c) Artikel 1: COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz-COVInsAG
Von größter Bedeutung für Gläubiger dürfte Art. 1 des Gesetzes sein, mit welchem nicht nur die Verpflichtung zur Stellung von Insolvenzanträgen krisenbedingt abgeändert wird, sondern der – nicht zuletzt aufgrund der Intervention mehrerer Spitzenverbände, insbesondere des DIHK, der in diesem Zusammenhang PASCHEN konsultiert hatte – auch Anfechtungsrisiken für Gläubiger adressiert, die ihren Abnehmern in der Krise beistehen.
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
§ 1 des Art. 1 setzt die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und § 42 BGB bis zum 30. September 2020 aus. Diese Regelung gilt nur dann nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf der COVID-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine (ggf. auch krisenbedingte) Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Das Gesetz gibt auch Hilfestellung bei der Auslegung dieser (Negativ-)Voraussetzungen, indem es eine Vermutungsregelung enthält, wonach grundsätzlich vermutet wird, dass sie nicht vorliegen, wenn der Schuldner nicht bereits am 31. Dezember 2019 zahlungsunfähig war.
Folgen für das Anfechtungsrisiko
Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH erhöht sich bei einer nachträglichen Änderung von Vertragsverhältnissen das Anfechtungsrisiko, insbesondere wenn solche Anpassungen vorgenommen werden, um bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten dem Geschäftspartner entgegenzukommen. Das Eingeständnis des Geschäftspartners, fällige Zahlungen in einer insolvenzrechtlich relevanten Größenordnung nicht erbringen zu können, indiziert nach der BGH-Rechtsprechung den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und zieht daher die erhebliche Gefahr der Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO nach sich.
Auf die oben beschriebene Intervention der Spitzenverbände hin, hat der Gesetzgeber daher anknüpfend an die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch Regelungen getroffen, die Gläubigern zugutekommen sollen, die ihren Vertragspartnern in der (Corona-)Not zur Seite stehen.
Nach § 2 des Art. 1 sind nicht nur gemäß Abs. 1 Nr. 2 Leistungen, die die Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredit und hierzu bestellte Sicherheiten in dem Zeitraum bis 30. September 2023 betreffen, grundsätzlich vom Anfechtungsrisiko befreit, sondern gemäß Nr. 3 und 4 auch sonstige Rechtshandlungen und insbesondere die unmittelbare Bezahlung oder der anderweitige Ausgleich von Forderungen für die Erbringung von Dienstleistungen oder Lieferung von Waren sowie Maßnahmen zu deren Absicherung.
Diese Regelung gewährt sogar Anfechtungsschutz für einige sogenannte „inkongruente“ Rechtshandlungen, namentlich
- Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber;
- Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners;
- die Bestellung anderer als der ursprünglich vereinbarten Sicherheiten, wenn diese nicht werthaltiger sind;
- die (nachträgliche) Verkürzung von Zahlungszielen und
- die Gewährung von Zahlungserleichterungen.
Ausgenommen von diesen Privilegierungen ist lediglich der Fall, dass dem Gläubiger bekannt war, dass die Sanierung- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Zur Eindämmung von Unsicherheiten bei der Auslegung dieser Regelungen finden sich hierzu ausführliche Erläuterungen in der Gesetzesbegründung. So heißt es dort (auf Seite 23f.):
„Die Regelung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2) schützt die Geber von neuen Krediten, einschließlich von Warenkrediten und anderen Formen der Leistungserbringung auf Ziel. Sie sollen nicht befürchten müssen, zur Rückgewähr zwischenzeitlicher Leistungen verpflichtet zu werden oder den Zugriff auf die bei der Vergabe der neuen Kredite gewährten Sicherheiten zu verlieren, wenn die Bemühungen um eine Rettung des Unternehmens der Kreditnehmerin oder des Kreditnehmers scheitern und deshalb doch ein Insolvenzverfahren eröffnet wird.“
Und weiter zu Nr. 4: „Ein Bedürfnis für einen Anfechtungsschutz besteht auch in bestimmten Fällen, in denen kein neuer Kredit im Sinne der Nummer 2 vorliegt. Dies betrifft z. B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens mit anschließender Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde (…).“
“Außerdem kann eine Anfechtung weiterhin erfolgen, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen der Schuldnerin oder Schuldners nicht zur Beseitigung der Insolvenzreife geeignet gewesen sind. Die Beweislast dafür liegt bei demjenigen, der sich auf die Anfechtbarkeit berufen möchte. Der andere Teil muss sich nicht davon überzeugen, dass die Schuldnerin oder der Schuldner geeignete Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen entfaltet; nur die nachgewiesene positive Kenntnis vom Fehlen von Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen oder von der offensichtlichen Ungeeignetheit der Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen würde den Anfechtungs-schutz entfallen lassen. Ausdrücklich geschützt werden auch Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber, Forderungsabtretungen statt Barzahlungen und Zahlungen durch Dritte auf Anweisung der Schuldnerin oder des Schuldners, weil solche der Leistung des Geschuldeten wirtschaftlich gleichstehen. Auch die Auswechslung einer Sicherheit ohne Erhöhung des Sicherheitswerts wird geschützt, um die betriebswirtschaftliche sinnvolle Verwendung von Sicherungsgegenständen durch die Schuldnerin oder den Schuldner nicht zu behindern. Der Schutz wird auf die Gewährung von Zahlungserleichterungen erstreckt, weil solche die Liquidität des Unternehmens stärken und insoweit ähnlich wirken wie die Gewährung neuer Kredite. Der Schutz einer Verkürzung von Zahlungszielen verfolgt demgegenüber den Zweck, Vertragspartnern einen weitergehenden Anreiz für eine Fortsetzung der Vertragsbeziehungen zu bieten. Wenn z. B. eine Lieferantin oder ein Lieferant betriebsnotwendiger Bauteile nur dann zur Weiterbelieferung des schuldnerischen Unternehmens bereit ist, wenn die bisher in einem Rahmenvertrag vereinbarten Zahlungsfristen verkürzt werden, sollte er nicht allein deshalb zu einer vollständigen Vertragsbeendigung gedrängt werden, weil er sich durch die Vertragsanpassung Anfechtungsrisiken aussetzen würde“.
Im Klartext: Quasi alle rechtschaffenen Bemühungen, dem aufgrund der Krise in Not geratenen Kunden zur Seite zu stehen, sind insolvenzrechtlich privilegiert. Dies umfasst zudem auch alle legitimen Maßnahmen, die zur eigenen Absicherung getroffenen werden.
Fazit
Die gesetzlichen Regelungen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise sind ausdrücklich zu begrüßen. Auch wenn Gerichte, die später gegebenenfalls über solche Sachverhalte zu entscheiden haben, nicht explizit an die Gesetzesbegründung gebunden sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Justiz später über diese Ausführungen hinwegsetzen würde, minimal. Gläubiger haben nach dem Gesetz zwar die Lasten der Regelungen zu Dauerschuldverhältnissen und des Moratoriums für Verbraucher und Kleinstunternehmen zu tragen. Wer aber seinem krisenbedingt außer Tritt geratenen Vertragspartner helfend unter die Arme greifen will, muss sich zumindest über das Thema Anfechtungsrisiko keine weiteren Sorgen machen.
Wie bereits oben festgestellt, ist die Dynamik des Gesetzgebers in der aktuellen Krise beeindruckend. Wir werden daher für Sie am Ball bleiben und Sie über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden halten. Für weitere Fragen in diesem Zusammenhang stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Wir wünschen Ihnen und uns, dass die aktuelle Krise schnellstmöglich überwunden werden kann und das Wichtigste: Bleiben Sie gesund!