Mehr als Daten: Wie Gerresheimer mit Pragmatismus und Kulturwandel globale Standards schafft
Interview mit Melanie Seeling, Global Head of Master Data Governance, Gerresheimer AG.
Stammdatenmanagement ist ein zentraler Baustein erfolgreicher Digitalisierung – und längst weit mehr als ein IT-Projekt. Wer global agiert, braucht einheitliche, konsistente und vertrauenswürdige Daten. Im Vorfeld des Stammdaten Forums 2025 haben wir mit Melanie Seeling, Global Head of Master Data Governance bei der Gerresheimer AG, gesprochen. Im Interview gibt sie Einblicke, wie Gerresheimer den globalen Aufbau eines einheitlichen Stammdatenmanagements gestaltet, warum Kulturwandel entscheidend ist und weshalb ein pragmatischer, „minimalinvasiver“ Ansatz große Wirkung entfalten kann.
Über Gerresheimer AG
Die Gerresheimer AG ist ein führender globaler Partner der Pharma- und Healthcare-Industrie. Das Unternehmen entwickelt und produziert hochwertige Spezialprodukte aus Glas und Kunststoff – von pharmazeutischen Primärverpackungen über Drug-Delivery-Systeme bis hin zu komplexen Systemlösungen für Medikamente und Diagnostika. Mit rund 12.000 Mitarbeitenden und Standorten in über 30 Ländern steht Gerresheimer für Qualität, Innovation und Verantwortung im Gesundheitswesen.
Über Melanie Seeling
Melanie Seeling verantwortet seit Anfang 2024 bei der Gerresheimer AG als Global Head of Master Data Governance den weltweiten Aufbau eines einheitlichen Stammdatenmanagements. Sie verfügt über umfassende Erfahrungen im Rechnungswesen mit Schwerpunkt auf Prozessoptimierung und Reporting sowie in der Projektleitung bei der Entwicklung eines SAP-ERP-Template-Mandanten – der heute bei Gerresheimer als Blaupause für SAP HANA dient – und den darauf folgenden internationalen Migrationsprojekten. Darüber hinaus bringt sie ausgeprägte interdisziplinäre und interkulturelle Kompetenzen mit und legt besonderen Wert auf prozessorientiertes Arbeiten, Automatisierung und Standardisierung. Ihr Verständnis von Change Management stellt den Menschen in den Mittelpunkt, um nachhaltige Veränderungen erfolgreich zu gestalten.

Was macht für Sie „gute“ Stammdaten aus – woran lässt sich Qualität messen?
Gute Stammdaten für unser Unternehmen, das im internationalen Umfeld arbeitet, sind global eindeutig, standardisiert und vollständig. Sie müssen die notwendigen Informationen für alle Anforderer enthalten, aber sollten dennoch pflegeleicht sein.
Sie verantworten bei Gerresheimer das globale Master Data Governance – was motiviert Sie persönlich an diesem Aufgabenfeld?
Meine persönliche Motivation liegt in der strategischen Bedeutung der Aufgabe für unser Unternehmen: ein weltweit konsistente Stammdatenmanagement ist essenziell für die internationale Zusammenarbeit, da korrekte und global eindeutige Stammdaten die Grundlage für alle wesentlichen Geschäftsprozesse sind. Besonders reizvoll finde ich, die Kulturveränderung von lokal geprägten Arbeitsweisen hin zu ONE Gerresheimer aktiv mitgestalten und in meinem Verantwortungsbereich Strukturen von Grund auf aufbauen zu können.
Welche Rolle spielt Stammdatenmanagement in der Digitalisierungsstrategie von Gerresheimer?
Ein funktionierendes Stammdatenmanagement ist die Grundlage für den Aufbau effizienter und automatisierter Prozesse. Ohne korrekte, aktuelle, hochwertige Daten ist der Einsatz diverser digitaler Tools und Systeme nicht möglich und vor allem nicht die Interoperabilität von verschiedenen Systemen und Plattformen, beispielsweise CRM und die ERP Systeme.
In Ihrem Vortrag sprechen Sie über fragmentierte Systemlandschaften. Welche typischen Herausforderungen bringen diese für konsistente Stammdaten/ Geschäftspartnerdaten mit sich?
Unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Ausprägungen führen dazu, dass wir uneinheitliche Datenformate und Dateninkonsistenzen haben, was die Konsolidierung und das Verständnis der Daten erschwert. Die Redundanz der Daten und das daraus folgende Aktualisierungsproblem ist ebenfalls Thema bei Datensätzen in verschiedenen Ausprägungen in unterschiedlichen Systemen, insbesondere bei Fehlen von automatischen Schnittstellen. Eine Integration und Überleitbarkeit der Daten aus den verschiedenen Quellen nicht unbedingt gegeben. Auswertungen für das Management über alle Systeme hinweg sind nur aufwendig und mit vielen Unsicherheiten zu generieren. Das kann zu falsche Analysen und Entscheidungen führen.
Die Problematik betrifft also nicht nur operative oder technische Herausforderungen, sondern auch strategische Entscheidungen und die allgemeine Geschäftseffizienz.
Ihr Ansatz ist „minimalinvasiv“ – also ohne umfassende Systemvereinheitlichung. Was überzeugt Sie an diesem pragmatischen Weg?
Wir planen eine schrittweise Migration unserer ERP Systeme zu SAP HANA. Mit dem minimalinvasiven Einsatz halte ich die Investitionen in Systeme niedrig, die keinen dauerhaften Bestand haben werden. Unsere schlanke IT-Mannschaft erfordert eine klare Fokussierung auf die wesentlichen Systeme, und ich strebe möglichst geringe Veränderungen für die Anwender an, um den Schulungsaufwand zu minimieren und bestehende Prozesse nicht zu gefährden. Gleichzeitig erzielen wir so einen schnellen, spürbaren Nutzen und schaffen eine solide Basis für die weitere Digitalisierung.
Datenqualität ist Teamarbeit: Wie gelingt es, verschiedene Standorte, Kulturen und Fachbereiche global einzubinden?
Datenqualität ist eine organisatorische und kulturelle Gemeinschaftsaufgabe. bei der sowohl konzernweite- als auch lokale Anforderungen berücksichtig werden müssen. Es braucht ein einheitliches Verständnis über Länder- und Bereichsgrenzen hinweg, klare Kommunikation, gegenseitiges Vertrauen und gemeinsame Ziele, am besten gemeinschaftlich in übergreifenden Teams entwickelt.
Die Einbindung verschiedene Standorte, Kulturen und Fachbereiche in internationale Teams unter zentraler Führung gelingt mittels aktivem Einbezug der lokalen Expertise, verbunden mit Wertschätzung des Knowhows und kultureller Sensibilität im Umgang miteinander. Vielfalt von Perspektiven muss als ein Plus gesehen werden und erhöht die Kreativität. Vertrauen und offene Kommunikation sind ein Muss. Vielfalt ist ein Mehrwert!
Was gemeinschaftlich entwickelt wird, wird akzeptiert und respektiert.
Transparenz und Governance sind Schlagworte im MDM – wie stellen Sie sicher, dass diese in einem internationalen Konzern auch wirklich gelebt werden?
Im MDM sind Transparenz und Governance entscheidend, insbesondere in einem internationalen Konzern wie Gerresheimer. Derzeit befinden wir uns am Anfang der Entwicklung globaler Standards. Aktuell haben wir im Wesentlichen lokale Lösungen. An der Etablierung der globalen arbeiten wir. Im Falle von akuten Problemen ziehen wir auch kurzfristig wirksame Workarounds in Betracht, die in der Folgezeit durchnachhaltige Prozesse ersetzt werden.
Welche konkreten Mehrwerte können konsistente Stammdaten aus Ihrer Sicht schaffen – z. B. für Finanzen, Einkauf oder Compliance?
In Summe sind konsistente Stammdaten eine Basis für effizientes und transparentes Arbeiten im Unternehmen, für fundierte Entscheidungen und ein Beitrag zur Risikominimierung. Finanzen profitiert durch Effizienz in Prozessen und Automatisierungen, wie z.B. der korrekten Erkennung der Lieferanten im Rechnungseingangstool und der damit möglichen automatischen Verbuchung. Der Einkauf benötigt transparente Daten für die strategische Steuerung. So wird das Potential für die Bündelung von Einkaufsvolumina sichtbar. Compliance hat eine es leichter, durch konsistente Stammdaten die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sicherzustellen.
Gerresheimer ist ein global tätiges Unternehmen in der Gesundheits- und Pharmaindustrie. Welche besonderen Anforderungen an Stammdaten sehen Sie in dieser Branche?
Wir haben spezifische, umfassende Anforderungen an unsere Stammdaten, die aus den Gegebenheiten der Branche resultieren, denn wir bewegen uns in einem regulierten Markt. Um nur ein paar zu nennen: Die Stammdaten müssen z.B. regulatorisch konform sein und internationale Vorgaben wie die der FDA oder ISO erfüllen. Für die Qualitätskontrolle müssen alle Informationen über Rohstoffe und Fertigungsdetails eindeutig verfügbar sein, sowie die vollständige Rückverfolgbarkeit von Materialien und Produkten, um bei Rückrufen oder Qualitätsprüfungen schnell handeln zu können. Lieferantenstammdaten müssen auditfähig sein und alle relevanten Compliance Informationen enthalten.
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Welche nächsten Schritte sehen Sie auf dem Weg zu noch konsistenteren Stammdaten/ Geschäftspartnerdaten?
Definitiv die Einführung eines Stammdatenmanagement Systems als Single Point of Truth für alle Geschäftspartner Stammdaten mit Workflow und Automatisierungstools, angebunden an die wesentlichen ERP Systeme unserer Gruppe. Der nächste Schritt ist für mich die konzernweite standardisierte Materialklassifizierung und die Implementierung eines Stammdatensystems für Material.
Welche Erfahrungen oder Lessons Learned aus Ihren Projekten würden Sie anderen Unternehmen mit auf den Weg geben?
Es braucht nicht sofort die große, unternehmensweite Lösung mit einem zentralen Stammdatensystem für alle Gesellschaften. Ein pragmatischer, minimalistischer Ansatz wie unserer kann bereits spürbaren Mehrwert schaffen – sichtbar für alle Beteiligten. Dadurch entsteht in den Gesellschaften die Erkenntnis, dass ein Umdenken weg von lokalen Silos hin zu einer globalen Unternehmenskultur notwendig und vorteilhaft ist. So findet das nächste umfassende Projekt breite Unterstützung in der gesamten Unternehmensgruppe – denn nachhaltiger Erfolg entsteht nur durch Akzeptanz und gemeinsames Verständnis.
Zum Abschluss: Worauf dürfen sich die Teilnehmer Ihrer Keynote beim Stammdaten Forum besonders freuen?
Die Teilnehmer dürfen sich auf einen praxisnahen Einblick freuen: Wie wir bei Gerresheimer mit ausgeprägtem Pragmatismus, kleinem Budget, begrenzten Ressourcen und einem klaren Fokus auf kulturellen Wandel einen spürbaren Mehrwert für unser Unternehmen geschaffen haben. Unser Ansatz zeigt, dass große Wirkung nicht zwingend große Mittel erfordert.
Seien Sie dabei beim Stammdaten Forum 2025
Das Stammdaten Forum bringt jährlich Expertinnen und Experten zusammen, um über die neuesten Entwicklungen in Master Data Management, Datenqualität und Governance zu sprechen. Erleben Sie inspirierende Vorträge, praxisnahe Beispiele und Best Practices führender Unternehmen wie Gerresheimer – und erfahren Sie, wie erfolgreiches Stammdatenmanagement in der Praxis funktioniert.
📅 Termin: 27. – 28.11.2025
📍 Ort: Düsseldorf